Die französische Webseite Journal du Gamer hatte wenige Tage nach dem Erscheinen von Pokémon X/Y die Möglichkeit, ein spannendes Interview mit Junichi Masuda, dem Direktor der Pokémon-Haupteditionen, zu führen. So konnten beispielsweise Fragen zur Wahl von Frankreich als Grundlage für die neue Region, zur Einführung des neuen Typs Fee, zum geringen Postgame oder zu einem zukünftigen MMO-Pokémon-Spiel beantwortet werden. Erstmals wurde das Interview am 25.10.2013 veröffentlicht. Ein großes Dankeschön geht erneut an Silverchen, welche das Interview im Folgenden übersetzt hat:
JdGa: Es hat sich nun tatsächlich herausgestellt, das Kalos von Frankreich inspiriert ist. Rechnen Sie damit, auch weitere europäische Länder zu besuchen? Oder möchten Sie mit den Erfahrungen mit Kalos dieses Kapitel abschließen?
Masuda: Im Moment habe ich den Kopf noch voll von Kalos. Dass wir uns von einem real existierenden Land haben inspirieren lassen, hat mir vor allem in einer Hinsicht gefallen: Die Leute erkennen Frankreich darin wieder, selbst wenn sie niemals selber dort waren. Ich habe mir gesagt, dass sie im Spiel das wiederfinden sollen, was sie beim Besuch von Carnac oder Mont-Saint-Michel erleben können. Zu vermischen, was zum Frankreich-Feeling beiträgt mit dem, was wir im Spiel modifiziert eingebracht haben, erschien mir außerordentlich reizvoll. Dabei stand der Gedanke Pate, dass die Spieler eine Art Touristen-Expedition durchleben können.
JdGa: Gibt es denn kein anderes Land, das auf Sie eine solche Anziehungskraft ausübt? Italien würde eine gute Spielgrundlage abgeben, oder?
Masuda: Ich bin erst zwei Mal in Rom gewesen (lacht). Warum Italien?
JdGa: Ich glaube, dass das ein Land mit vielen alten Bauwerken, interessanter Kultur und starker Identität ist - wie Frankreich.
Masuda: Warum nicht Spanien? Dort bin ich nächsten Monat. Für zukünftige Teile werde ich mal drüber nachdenken (lacht).
JdGa: Als Franzose fällt einem sofort die Liebe zum Detail auf, wenn man X/Y spielt. Die Nummernschilder an den Autos, die Pfeilschilder, die einem die Richung weisen und die Straßenschilder sind typisch für Paris. Wie viel Zeit haben Sie in Frankreich verbracht und wie haben Sie das an Ihr Team weiter gegeben, um dieses Detailreichtum einzubauen?
Masuda: Wir haben viel mit den Lokalisatoren der Pokémon Company in London zusammengearbeitet. Darunter gab es viele, die japanisch und französisch gesprochen haben. Mit ihnen und 10 Mitarbeiter aus meinem Team bin ich nach Frankreich gereist um Nachforschungen anzustellen. Ich selber habe einen ganzen Monat in Frankreich verbracht, um das Land auf mich wirken zu lassen. Dabei habe ich sehr viele landestypische Erfahrungen gesammelt. Zum Beispiel steige ich in ein Taxi, sage dem Fahrer, bring mich da und da hin und er nimmt einen ganz anderen Weg als gedacht und bringt mich ganz woanders hin. Das passiert wahrscheinlich immer, wenn man in der Fremde unterwegs ist, das ist etwas, was ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht ausprobiert habe. Wir haben versucht, dieses Gefühl in das Spiel miteinzubringen.
Dann ist mir noch etwas aufgefallen. Ich war schon in vielen Ländern dieser Welt, wie in den USA und Großbritannien. In diesen Ländern sind die Tische immer viereckig, damit man keinen Platz verschwendet, wenn sie zusammen- oder auseinandergestellt werden. Als ich anfing, darauf zu achten, habe ich bemerkt, dass in Frankreich dagegen sehr viele Gegenstände rundlich geformt sind. Das ist ungewöhnlich, und so habe ich meine Aufmerksamkeit auf solche kleinen Details gerichtet.
JdGa: Aber dann ist noch der Süden Frankreichs. Hatten Sie keine Zeit, ihn zu besuchen, oder hat Ihnen der Norden für ein Pokémon-Spiel ausgereicht?
Masuda: Ja, der Norden des Landes erschien mir für das Spiel bereits mehr als ausreichend. Frankreich ist sehr vielfältig, was das Ambiente in den verschiedenen Regionen angeht. Wenn Sie zum Beispiel ein wenig durch das Land reisen, werden Sie optisch völlig unterschiedliche Städte kennen lernen. Ich denke, dass dies schon für ein an Eindrücken reiches Spiel genügt, denn es hat uns außerdem genug Zeit gekostet. Wir wollten möglichst naturgetreu das reproduzieren, was wir in Frankreich erlebt haben. Den Stoff, den wir aus Nordfrankreich mitgenommen haben, hat ungefähr dem entsprochen, was ich mir unter dem Spielumfang vorgestellt habe.
JdGa: Das Spiel bringt viele Neuerungen mit sich, vor allen den Typ Fee, der das Gleichgewicht neu einstellen sollte. Er ist stark gegen starke Typen und schwach gegen schwache Typen. Allerdings ist er auch gegen den Stahl-Typ nicht durchsetzungsfähig, der ja an sich schon recht stark ist. Wird das das Metagame nicht etwas aus dem Gleichgewicht bringen?
Masuda: Als wir uns mit den mythologischen Ursprüngen der Feen beschäftigt haben, ist uns schnell aufgefallen, dass sie in Legenden schon immer anfällig für Feuer, Metall und Stahl waren. Ich habe also mit dem Director gesprochen, der bei uns für das Kampfsystem zuständig ist und ihn gefragt, was er darüber denkt. Als Antwort riet er mir, den Typ Stahl als Schwäche einzubauen, denn das ginge auch ohne das System aus den Gleichgewicht zu bringen. Das werden wir dann spätestens bei den World Championships 2014 in Washington sehen. Wenn dann alle auf den Stahl-Typen setzen, geht es wohl doch nicht - aber im Moment bin ich überzeugt, dass das Spiel ausgewogen konzipiert ist.
JdGa : Meines Erachtens sind die Mega-Entwicklungen eine sehr gute Idee. Sie tragen dazu bei, Flexibilität in das Gameplay zu bringen, dessen Steifheit Nintendo in der Vergangenheit häufig vorgeworfen wurde. Werden Sie diese Richtung weiter verfolgen? Werden Sie weiterhin Mega-Entwicklungen verwenden und andere Neuerungen dieser Art einbringen, um innerhalb eines Spielzuges mehr Optionen zu haben?
Masuda: Bei den Mega-Entwicklungen möchte ich erst sehen, wie sie sich auf Turnieren machen. Ich gehe davon aus, dass es zwei Trends geben wird: Einige Spieler werden sie unbedingt nutzen wollen, um sich ihre Unterstützung bei der Strategie zu holen, andere hingegen werden sich bewusst dagegen entscheiden. Deswegen möchte ich die Turniere abwarten, um danach zu entscheiden, wie wir eventuell in Zukunft Modifikationen vornehmen können.
JdGa: Ich bin ein Fan der Doppel- und Dreifachkämpfen, aber genau deshalb bin ich in den Spielen immer etwas enttäuscht: Es gibt sie weder in den Arenen, noch in der Liga. Das ist jetzt auch wieder in X/Y der Fall. Wird diesen Kämpfen eines Tages eine größere Rolle zuteil?
Masuda: Das Problem bei Doppel- und Dreifachkämpfen ist, dass man immer zuerst die Regeln erklären muss, und das ist kompliziert. Es gibt viele Spieler, die sich mit dieser Art von Kämpfen schwer tun und die möchten wir nicht unnötig quälen. Bei der Konzeption des Spiels wollten wir ein möglichst fließendes Spielerlebnis schaffen, sodass die Spieler das Spiel genießen können, ohne vor den Kopf gestoßen und frustriert zu werden. Deswegen setzen wir diese Art von Kämpfen eher sparsam ein, ohne die Spieler, die diese Mechanismen mögen, komplett daran zu hindern. Diese Möglichkeit wird ja bei Turnieren und Online-Kämpfen für erfahrene Spieler weiterhin geboten.
JdGa: Der EP-Teiler ist zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. War es in Rot und Blau noch so, dass an alle Pokémon im Team EP verteilt wurden, so änderte sich das in Gold und Silber, wo nur ein einziges mit diesem Gerät ausgerüstet werden konnte und somit EP erhielt. Warum sind Sie zu der ersten Version zurückgekehrt? Und davon abgesehen - warum haben Sie das damals überhaupt verändert?
Masuda: Das erste Mal, dass wir den EP-Teiler verändert haben, geschah das, weil uns bewusst wurde, dass die Spieler ihre Pokémon einzeln aufziehen wollen. Also wurde der EP-Teiler für ein einziges Pokémon ausrüstbar. Mit der Wiedereinführung der ersten Version in X/Y bauten wir einen An-/Ausschalter dafür ein, sodass sich die Spieler entscheiden können, ob sie ihn verwenden wollen oder nicht. Problem gelöst.
Dass der EP-Teiler überhaupt wieder so funktioniert, liegt daran, dass wir den Leuten die Möglichkeit geben wollten, möglichst viele Pokémon aufzuziehen. Wir haben bemerkt, dass viele Leute Lieblingspokémon haben, diese aber nicht trainieren können, weil sie sehr schwierig aufzuziehen sind. Dementsprechend ermöglicht es dieser EP-Teiler, viele Pokémon gleichzeitig wachsen zu lassen, um auch möglichst viele verschiedene auszuprobieren, vor allem bei den neuen Pokémon.
Zum einen wollten wir diese Erfahrung vereinfachen, zum anderen aber auch die Option offen halten, sich dem Training eines Pokémon widmen zu können, ohne auf die EV-Verteilung zu schauen. Das kann man jetzt separat im Supertraining erledigen, völlig unabhängig von Kämpfen.
JdGa: Haben Sie das System deswegen verändert, weil Sie letzten Endes zu dem Schluss gekommen sind, dass es zu kompliziert ist, ein perfektes Pokémon zu bekommen?
Masuda: Stellen wir uns vor, Sie wären der größere von zwei Brüdern. Sie sind der Superexperte bei Pokémon und unter Ihnen dann der kleine Bruder. Egal, was er macht, er wird gegen Sie niemals gewinnen, weil er sich in der Materie nicht so gut auskennt. Mit der Möglichkeit, die Pokémon auch über Touchscreen zu trainieren, geben wir dem kleinen Bruder etwas Hoffnung, auch gegen erfahrenere Spieler gewinnen zu können. Er muss ja nur mit den Sandsäcken trainieren, um seine Pokémon stärker zu machen und vielleicht auch gegen seinen Bruder gewinnen zu können.
JdGa : Das Spiel hat insgesamt sehr gute Kritiken bekommen. Trotzdem kehrt ein Vorwurf immer wieder: Im Gegensatz zu HG/SS und Schwarz/Weiß ist das Post-Game nur sehr spärlich. War das Absicht, den gesamten Inhalt vor die Poké-Liga zu platzieren? Oder hatten Sie einfach keine Zeit mehr?
Masuda: In der Tat. Vor dieser Entscheidung stehen wir immer beim Verwirklichen eines Spiels. Da müssen wir dann die Proportionen auswählen, wie viel soll vor der Liga passieren und wie viel danach. Packen wir viel ins Spiel oder doch weniger? Dadurch, dass dies unser erster Titel für den 3DS war, wollten wir die Spieler in die Region Kalos hineinstürzen lassen. Also haben wir uns auf das Abenteuer, die Entdeckungen und die Grafik konzentriert. Es sollte wirklich schön werden. Eines der Themen für dieses Pokémon-Spiel ist "Eleganz". Vor allem architektonische Eleganz. Also haben wir den Fokus auf das Abenteuer vor der Liga gelegt, das war also dieses Mal unsere Entscheidung.
Für das Post-Game gibt es viele Interaktionen mit anderen Spielern, die man über Internet machen kann, vor allem im Bezug auf das Global Link. Dafür werden wir noch Neuigkeiten bekannt geben, wenn das Global Link online gegangen ist. Bleibt also dran!
JdGa: Das Internet steckt voller Theorien. Eine davon ist ein MMO-Pokémon-Spiel. Unvorstellbar oder wahrscheinlich?
Masuda: Das könnte eine Option darstellen. Im Bereich Strategie denken wir immer an die Zukunft der Marke Pokémon. Ob es jetzt um den Begriff des Spiels oder den der Unterstützung geht, unser Ziel ist es immer, die Menschen zufriedenzustellen, die uns bis heute gefolgt sind, aber ihnen auch Überraschungen zu bereiten. Wir wollen Interesse wecken. Wenn man das erreichen will, sollte man auch neue Wege gehen, die man nicht von uns erwartet. Aber immer gilt es, den Spielern exzellente Spielerfahrungen zu bieten. Deswegen verbieten wir uns nichts! Wir experimentieren sehr viel und wenn die Art des Projektes, was Sie ansprechen, uns lohnend erscheint, werden wir uns nicht dagegen sperren. Ich glaube, die Leute, die sich so etwas wünschen, können weiterhin hoffen: Es ist möglich, dass wir eines Tages in diese Richtung gehen könnten.
JdGa: Dieses Bild hat im Internet vielfältige Reaktionen hervorgerufen. Es macht durchaus Hoffnung, dass es eines Tages ein Pokémon-Beat 'em up geben könnte. Ist ein solches Projekt überhaupt möglich?
Masuda: Ach ja! Das Foto wurde bei unserer Pokémon Show im August in Japan aufgenommen. Wie ich bereits sagte, suchen wir immer nach Wegen, die Spieler zu überraschen. Also das könnte doch ein gutes Spiel werden, warum nicht? Pokémon ist ja kein in Stein gemeißeltes Ideal. Es entwickelt sich und verändert sich fortwährend. Bleibt also aufmerksam. Es könnten tolle Neuigkeiten auf euch warten!
Link zur Originalfassung:
http://www.journaldugamer.com/2013/10/25…junichi-masuda/