In diesem Thema habt ihr eine bestimmte Anzahl an Punkten zur Verfügung, die ihr den Texten im nächsten Beitrag geben könnt. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen, komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenige oder zu viele Punkte enthalten, können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen, eure Wahl ausreichend begründen und natürlich nicht für eure eigenen Texte voten.
Es ist außerdem hilfreich, euch das "How to vote-Topic" anzusehen. Schreibt ihr in dieser Saison besonders viele Votes, habt ihr die Chance auf Medaillen. Weitere Informationen findet ihr hier: Informationen und Regeln zu den Wettbewerben.
Zitat von AufgabenstellungGO ahead!
Ein neues Spiel erobert derzeit die Herzen von Pokémonliebhabern in aller Welt und gewinnt auch immer neue dazu: "Pokémon GO". Und nun bekommt ihr die Gelegenheit, eure ganz persönliche Geschichte zu diesem vielversprechenden Fanmagneten zu schreiben! Ob ihr dabei eure persönlichen Erfahrungen thematisiert, tief in die Materie eintaucht und sie als eigene Welt beschreibt, euch bestimmte Ereignisse herauspickt oder ein bestimmtes Spielprinzip in den Fokus rückt: Ihr bestimmt, wie eure GOschichte aussehen wird! Einzige thematische Bedingung: Der Bezug zu "Pokémon GO" muss deutlich erkennbar sein (z. B. Arenen, Pokéstops, Pokémon fangen, in Bewegung bleiben, die Teams, Anlocken usw. mit Bezug zum Spiel). Eine Geschichte beispielsweise, die nur die Wahl des Starters thematisiert, so aber genauso gut auch in Alabastia hätte stattfinden können, ist nicht erlaubt.
Ihr könnt 7 Punkte verteilen, maximal 4 an eine Abgabe.
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Achtet dabei darauf, bei der Schablone zwischen Doppelpunkt und ID/Punktzahl ein Leerzeichen zu machen, damit die Auswertung über den Voterechner ohne Probleme erfolgen kann. Wenn ihr nicht wissen solltet, wie ihr eure ID herausfindet, könnt ihr dies unter anderem hier nachlesen.
Der Vote läuft bis Sonntag, den 21.08.2016, um 23:59 Uhr.
Zum ersten Mal an Weihnachten mit vor Freude glänzenden Augen ein Pokémon Spiel öffnen.
Zum ersten Mal vor der schwersten Wahl eines jungen Lebens stehen – Bisasam, Glumanda oder Schiggy?
Zum ersten Mal die größte kleine Welt bereisen.
Zum ersten Mal mit dem letzten Kratzer kurz vor dem Ende eine Arena bezwingen.
Zum ersten Mal trainieren für die Top 4.
Zum ersten Mal ganz oben stehen und sich in der Ruhmeshalle groß fühlen.
Zum ersten Mal Lästereien ertragen wegen der lächerlichen Kleinkindspielereien.
Zum ersten Mal merken, dass nicht jeder so begeistert ist, wie man selbst.
Zum ersten Mal ganz unten sein und sich am liebsten so klein wie möglich machen.
Zum ersten Mal dazugehören wollen und
Zum ersten Mal die eigenen Leidenschaften verstecken.
Zum ersten Mal vergessen, was einen früher so begeistert hatte.
Und dann
Zum ersten Mal von der neuen Sensation hören.
Zum ersten Mal zögerlich die Pokémon GO App herunterladen.
Zum ersten Mal seit langem ein Pokémon vor sich sehen.
Zum ersten Mal die triviale Entscheidung treffen – Bisasam, Glumanda oder Schiggy?
Zum ersten Mal vorsichtig einen Pokéball werfen.
Zum ersten Mal seit Ewigkeiten das erste Taubsi fangen.
Zum ersten Mal die Welt mit anderen Augen sehen.
Zum ersten Mal eine Arena mit einer letzten Berührung des Bildschirms übernehmen.
Zum ersten Mal seit damals wieder ein Erfolgserlebnis.
Zum ersten Mal wieder die Befürchtung.
Die Versuchung, das Smartphone wieder wegzulegen ist groß, die Versuchung, Pokémon GO wieder zu deinstallieren ist größer. Ich bin keine charakterstarke Person, keine Person, die anderen die Meinung sagen und seine eigenen Interessen brennen kann. Keine Person, die tut was sie will, ohne auf die Meinung anderer zu hören. Ich bin beeinflussbar, es ist mir wichtig, nicht dumm dazustehen. Ich liebte es zu singen und zu tanzen, zu fantasieren und zu träumen. Aber so bin ich nicht mehr. Ich bin geformt von einem Umfeld, zu dem ich nur gehören möchte, weil es jeder will, habe mich schon länger damit angefreundet, nicht immer das machen zu können, worauf ich früher vielleicht Lust gehabt hätte.
Nicht immer wird zu selten und selten wird zu so gut wie nie.
Das ist eben der Preis, den ich zu zahlen bereit war. Und ich bin glücklicher so, denke ich, während ich die App langsam in Richtung Papierkorb am oberen Bildschirmrand ziehe. Reine Zeitverschwendung, diese Kleinkindspielereien. Denke ich.
Und dann
Zum ersten Mal zögern.
Vielleicht noch ein letztes Mal. Ich habe da dieses zwei Kilometer Ei, das bald schlüpfen sollte. Also noch ein letztes Mal raus aus der stickigen Wohnung und in die warme Mittagssonne. Vorsichtig die App starten, ohne Ton und die Helligkeit ganz nach unten, damit es niemand sieht.
Und dann
„Hey, spielst du Pokémon GO?“
Zum ersten Mal zusammenzucken.
Und dann
Zum ersten Mal denken „Scheiß drauf.“
Zum ersten Mal seit langem wieder über Pokémon reden.
Zum ersten Mal ein Karpador aus einem Ei schlüpfen sehen.
Zum ersten Mal zu zweit auf die Jagd gehen.
Zum ersten Mal mit leuchtenden Augen ein seltenes Pokémon fangen.
Zum ersten Mal ein Lockmodul aktivieren.
Zum ersten Mal an einem Platz mit Leuten sein, die denken wie ich.
Zum ersten Mal Einsicht zeigen.
Zum ersten Mal realisieren, dass das Leben gar nicht so sein muss.
Zum ersten Mal richtige Freunde finden.
Ich bin immer noch keine charakterstarke Person, so einfach kann ich mein Leben nicht von einem Tag auf den anderen drehen, aber ich lasse mich nicht mehr so leicht beeinflussen. Ich habe Freunde, bei denen ich sein kann, wie ich will. Ich kann singen und tanzen und fantasieren und träumen.
Und ich bin glücklicher so, das weiß ich.
Tonk.
Tonk.
Tonk. Tonk.
Wie in Trance stieg ich die hölzernen Stufen der sorgfältig zusammengezimmerten Tribüne hinunter. Obwohl ich die Vibrationen meiner schweren Schritte auf den Eichenbrettern durch meine anthrazitfarbenen Stiefel sehr genau wahrnahm, drangen sie nicht bis an meine Ohrmuscheln, um sich in meinem Gehörgang zu Geräuschen zu verdichten. Der Applaus der Menge brandete wie ein gigantischer Tsunami um mich herum, übertönte momentan einfach alles. Sogar das wilde Galoppieren meines Herzens, das meinen ganzen Körper zum Zittern brachte.
Pock. Pock.
Pock.
Pock. Pock. Pock.
Als meine Füße mich zurück auf den weichen, saftig grünen Teppich getragen hatten, den der idyllische Ort Lenzingen seine Gemeindewiese nennen durfte, war das Klatschen bereits wieder durch andächtiges Gemurmel abgelöst worden, das entfernt an eine wabernde Wolke hungriger Insektenpokémon erinnerte ; die Aufmerksamkeit der zahlreich Versammelten hatte sich bereits dem nächsten aufgeregten Traineranwärter zugewandt.
Vorsichtig sah noch einmal über die Schulter zurück. Ein athletischer Mann mit kantigen Gesichtszügen und verstruwwelten, weißen Haaren winkte gerade ein junges Mädchen zu sich, das mit nach oben gerecktem Kinn und glühenden Wangen ins Rampenlicht trat.
Viele der Anwesenden sahen interessiert zu, welchen Begleiter sich die angehende Trainerin von Willow, dem berühmten Wanderprofessor, aussuchen würde. Bei dem Gedanken daran, dass ich selbst noch vor wenigen Minuten vor der gleichen schwierigen und schwerwiegenden Entscheidung gestanden hatte, glühten meine Wangen erneut auf, sodass ich fast wie ein verdammtes Pikachu aussehen musste. Und wenn ich an diese unergründlichen, meeresblauen, gleichzeitig Funken sprühenden und lebenslustigen Augen dachte, die sich tief in deine Seele drängen konnten ...
Ich schüttelte rasch den Kopf. Das alles lag jetzt hinter mir - es gab nichts, was mich an diesen Ort band, und ich würde eine wage Bekanntschaft sicher nichts an diesem Umstand ändern lassen!
Mich immer rascher werdenden Schrittes von der Menge und dem Lärm entfernend, hielt ich die unscheinbare, rot-weiße Kapsel fest umklammert, die der umherreisende Wissenschaftler mir so eben feierlich überreicht hatte. Mein erster Schritt in eine ganz neue Welt …
Ich blieb kurz stehen, atmete tief ein, und aus. Ein, und aus. Ein. Und Aus.
Meine Gedanken schweiften zurück zu dem Moment, als ich den Flyer aus dem Briefkasten gefischt hatte, der einen Halt Professor Willows in unserem verschlafenen Kleinstädtchen angekündigt hatte. Jenes bunte Stück Papier, das allen glücklichen Jungtrainern ihre Erstausstattung für eine aufregende Reise in die Welt der Pokémon versprach. Schnell wie ein junges Ponita auf der Flucht vor drohenden Regenschauern hatte ich mich an die Tastatur meines schlecht gealterten Laptops geschwungen, mehr als einmal die zähe Internetverbindung verflucht – und schließlich erfolgreich meine Anmeldung für dieses besondere Ereignis eingereicht. Schon als kleines Mädchen hatte ich davon geträumt, eine Trainerin zu werden – durch die Welt zu reisen, meine treuen Pokémongefährten an meiner Seite, von Ort zu Ort ziehend, immer bereit für neue Abenteuer! Und nun, da ich meine Schulausbildung endlich beendet hatte, gab es nichts mehr, was mich gehalten hätte – entsprechend gering fiel meine Zögern aus, diese Gelegenheit beim Schopf zu packen!
Der Anflug eines Lächelns stahl sich auf mein Gesicht, und ich schulterte entschlossen meinen geräumigen Wanderrucksack, bereit, meine große Reise anzutreten!
Ein plötzlicher Anflug von Euphorie überrollte mich wie eine tosende Flutwelle. Der Anflug eines Lächelns auf meinen Lippen verdichtete sich zu einem breiten Grinsen, als ich mit einem leisen Klicken den Schließmechanismus des Gerätes betätigte, der meinen ersten Freund auf dieser Reise beherbergte.
„Lass uns endlich loslegen, Feuerschuppe!“, rief ich begeistert, während ich den Pokéball hoch in die Luft warf. Sofort schoss ein blendend heller Blitz daraus hervor und manifestierte sich langsam in mandarinenfarbenen Schuppen, scharfen Krallen und einer lodernen Flamme an der Spitze eines echsenhaften Schwanzes.
Das Glumanda blinzelte mich zunächst Orientierung suchend an. Ich war bereits ein gutes Stück vorwärts gekommen, bevor ich das Flammenreptil aus seinem Ball entlassen hatte. Das frisch gemähte Gemeindegelände war einem ruhigen, gepflegten Forst gewichen, der sich an dessen Ostseite schmiegte und zugleich mit seinen Ausläufern die Ortsgrenze markierte.
Langsam, um meinen neuen Kameraden nicht zu erschrecken, kniete ich mich nieder und sah lächelnd zu, wie er die Umgebung zu erkunden begann. Ein warmes, weiches Gefühl breitete sich allmählich in meinem Innersten aus, während Feuerschuppe mit tapsigen Schritten den knisternden Laubteppich durcheinanderwirbelte. Wie viele Schichten sich wohl bereits hier aufgetürmt hatten? Wie viele Jahre mochten sie bereits gesehen haben, wie viele Menschen und Pokémon verschiedenster Art? Wahre Zeitzeugen, wenn man so wollte ...
Meine Gedanken waren derart abgeschweift, dass ich erschrocken zusammenfuhr und unsanft auf meinem Hinterteil landete, als ich plötzlich einen warmen Hauch auf meinem Arm gespürt hatte. Mit einem raschen Blick zur Seite stieß ich jedoch einen erleichterten Seufzer aus: Mein feuriger Freund hatte anscheinend die Erkundung der Umgebung abgeschlossen und sich seinem menschlichen Begleiter zugewandt.
Er, den ich nach einer Figur aus einem meiner Lieblingsromane getauft hatte (kitschig, ja, vielleicht) legte ein wenig den Kopf schief und sah mit irritiertem Blick aus wunderschönen, schokopuddingfarbenen Augen zu mir auf. Er gab einen Laut von sich, der wie eine Mischung aus kehligem Knurren und dem sanften Brummen eines Motors klang.
Nachdem der Schreck allmählich abgeklungen war, überlegte ich, was ich als nächstes tun sollte. Ich war zwar hoch motiviert, hatte aber noch nicht viel Erfahrung mit den kleinen Taschenmonstern; ich war zwar alles andere als unvorbereitet zu bezeichnen, allerdings reduzierte sich meine Praxiserfahrung auf das gelegentliche Füttern des Nachbarsmauzi, wenn dessen Besitzer verreist waren. Theoretisch war ich also mit genügend Wissen gerüstet, wollte mich aber auch hüten, etwas zu überstürzen oder falsch zu machen. Was, wenn ich einen Fehler machte und damit Feuerschuppes ganze weitere Erziehung zum Scheitern verurteilt war? Oder darin versagte, mir sein Vertrauen anzueignen, was für die Pokémon-Trainer-Beziehung absolut essentiell war? Vertrauen ... da war doch was!
Hastig klaubte ich eins der gelb-orange gestreiften Bonbons aus der Tasche, die der Professor mir mit auf den Weg gegeben hatte. So ein kleiner Bestechungsversuch zu Beginn unserer gemeinsamen Erlebnisse war doch sicherlich kein schlechter Anfang!
Das Glumanda neigte interessiert den Kopf nach vorn. Seine keinen, schlitzartigen Nüstern weiteten sich, als er die Witterung des süßlich riechenden Objektes aufnahm, das ich ihm mit wachsender Unruhe entgegenstreckte. Waren Pokémon nicht verrückt nach Süßigkeiten? Hatte ich doch irgendetwas falsch gemacht? Oder mich geirrt?
Plötzlich stieß die kleine Flammenechse ein kehliges Fauchen aus und schnappte das Objekt der Begierde zielgenau aus meiner Hand. Glücklich schmatzend blickte es mich mit blitzenden Augen an. Das Eis war also erfolgreich gebrochen!
„Wir schaffen das schon, kleiner Freund!“, kündigte ich mit einem Anflug von Optimismus an und erhob mich allmählich aus meiner halb liegenden Position.
Mit einem tiefen Sog füllte ich meine Lungen mit dem würzigen, erdigen Duft der Umgebung und machte mich innerlich bereit, meinen Weg fortzusetzen. Gerade, als ich mich in Richtung des schmalen Wanderpfades, der sich durch den kleinen Wald wand, in Bewegung setzen wollte, spürte ich ein leises Brummen an meinem rechten Schenkel. Vor Schreck hätte ich beinahe die voltobalfarbene Fangkugel fallen gelassen, die ich die ganze Zeit über im Griff gehabt hatte. Zur Sicherheit verstaute ich das rundliche Heim meines Glumanda nun doch in meinem vollgestopften Rucksack, um anschließend mein leicht zerkratztes Smartphone aus der Hosentasche zu fischen. Ein neuartiges Programm, das auf dem Mobiltelefon aktiviert wurde und für das Professor Willow jeden seiner Schützlinge registrierte, konnte Pokémon wahrnehmen, die sich in der Nähe aufhielten. Ein stilisiertes Symbol der Spezies informierte den Besitzer dann über den ungefähren Standort des Monsters. Gebannt starrte ich auf das Display – aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie Feuerschuppe sich nun neugierig näherte und mich fragend anblickte.
Grinsend wandte ich mich ihm zu.
„Mein Freund“, lachte ich ihn an, „unser nächster Gefährte ist ganz in der Nähe! Wir müssen uns beeilen!“
Und während wir eilig der Richtung folgten, die das blinkende Display uns wies, wurde jeder meiner hastigen Schritte von mehr Begeisterung beflügelt. Auf, nach vorn - niemals zurück.
So begann es … das größte Abenteuer meines Lebens!
Gelangweilt saß ich auf dem schwarzen Schreibtischstuhl, den ich von meinem Halbbruder während seiner Abwesenheit „ausgeliehen“ hatte und betrachtete den Bildschirm meines Laptops. Das Dashbord des Bisaboards zeigte mir seit geschlagenen fünf Minuten das Gleiche an. Irgendeine Pinnwandantwort, die mich nicht weiter interessierte. Ich war ja kein Stalker. Zumindest nicht immer. Okay, ich war oft ein Stalker, aber wenn einem die Möglichkeiten gerade so ansprangen, konnte man ja nicht widerstehen!
Gerade im Moment gab es jedoch Wichtigeres: Den Kampf gegen meine Langeweile und das BisaBoard war gerade keine große Hilfe. Ich hätte natürlich auch nach draußen gehen und das „Reallife“ erleben können, doch von diesem hatte ich mich Anfang Juli für zwei Wochen verabschiedet und wiedertreffen wollte ich es, bevor im September die Schule losging, lieber nicht. Ich brauchte meine zwei Monate keine Menschen, sonst würde ich im September beim Anblick meiner Klasse noch zusammenbrechen.
Ich begann mich auf dem drehbaren Stuhl hin und her zu drehen, bis ich ganze Runden machte. Eine perfekte Freizeitbeschäftigung war das. Eine Runde folgte auf die andere, bis mir auf der im Browser geöffneten Seite etwas auffiel. Ich griff mit den Händen nach den Tischkanten um den Stuhl zu stoppen und starrte auf den Bildschirm. Ich hatte eine Benachrichtigung! Mein Leben hatte wieder einen Sinn! So schnell ich konnte griff ich nach der Maus, die ich allerdings aufgrund meines noch verdrehteren Verstands als sonst, in einer Handbewegung vom Tisch beförderte. Grummelnd kletterte ich von meinem Stuhl um die Funkmaus wieder aufzuheben, während ich mich über sie beschwerte: „Dumme Funkmäuse, haben gar kein Kabel, das die daran hindern könnte runter zu fallen.“
Nein, natürlich hatte ich nicht erst wenige Tage zuvor noch bei meiner Mutter mit meiner Funkmaus geprahlt, weil ihr Mauskabel immer alles von ihrem Schreibtisch wischte. Das würde ich doch niemals tun. ICH doch nicht!
Als ich mich mit der Maus wieder erhob stieß ich mir natürlich den Kopf an der Tischkante. Wie man schon bemerkte, war mein Leben voller Gefahren. Es war geradezu eine einzige Gefahr!
Nachdem ich diese extrem gefährliche Aufgabe des „Maus-Aufhebens“ also überlebt hatte, konnte ich endlich die Benachrichtigung anklicken, nur um festzustellen, dass es sich um eine News handelte. Das würde mich für vielleicht zwei Minuten beschäftigen. Seufzend las ich den Titel: „Pokémon GO ab heute auch offiziell in Österreich und der Schweiz verfügbar!“
Na super, und Belgien ging wieder leer aus, oder was? Deutschland war schon vorgezogen worden und jetzt kamen Österreich und Schweiz dran? Was war mit Belgien? Ich meine, hallo?! Hier gab es mindestens drei Fans, die gerne GO spielen würden!
Ich klickte die Benachrichtigung und überflog den Text, bis ich an einem gewissen Punkt hängen blieb. Genauer gesagt waren es drei Wörter und eine Zahl: „neben 24 anderen Ländern“.
Danach handelte mein Körper von alleine, ich sprang auf, stolperte zu meinem Nachttisch und riss das Handy so vom Ladekabel, dass es mir aus der Hand rutschte und unsanft auf den Boden befördert wurde. Glücklicherweise schien der Uropa dieses Geräts ein Nokia gewesen zu sein, denn selbst als es die Treppe hinunter gefallen war, hatte es keinen Kratzer davon getragen. Hastig klaubte ich es vom Teppichboden auf, machte es, gab den vierstelligen Zifferncode erst drei Mal falsch ein bis ich es schaffte mein Geburtsdatum richtig einzugeben und öffnete den Appstore. Meine Finger flogen nur so über die Tastatur, als ich „Pokémon GO“ in das Suchfeld eintrug. Und in der Tat: Das erste Ergebnis zeigte ein blaues Logo mit dem typischen Pokéball, die App war in Belgien verfügbar!
Von meinem tiefsten Inneren aus, begann sich das unbeschreibliche Gefühl des Hypes auszubreiten, das ich irgendwie hinauslassen musste. Ich könnte jetzt vor Freude schreien, allerdings würde meine Oma, die direkt nebenan wohnte, mich dann höchstwahrscheinlich schlussendlich doch in eine Psychiatrie einweisen lassen, also musste ich eine leisere Möglichkeit finden. Stattdessen setzte ich mich wieder auf „meinen“ Stuhl, öffnete einen neuen Tab und ging auf eine Seite mit japanischen Smileys. Ich scrollte durch die Sammlung an Smileys, bis ich den perfekten fand und ihn kopierte. Dieser Smiley strahlte genau das aus, was gerade in mir vorging. Er war perfekt! Es war der Tableflip-Smiley!
Ich startete den Texteditor, fügte den Smiley ein und betrachtete in Ruhe mein Werk. Nachdem ich nun meinem Hype eine Form gegeben hatte, lud ich die App runter. Zumindest versuchte ich es, denn sobald ich den Downloadbutten drückte, erschien in großen, roten Großbuchstaben die Nachricht: „NICHT GENÜGEND SPEICHER VORHANDEN.“ Okay, sie war nicht rot und auch nicht groß und eigentlich auch normal geschrieben, doch das wäre ja irgendwie langweilig. (Dieser Text braucht Dramatik. Jeder Text braucht Dramatik).
Doch so schnell gab ich nicht auf, nach all' der Wartezeit musste ich die App haben! Mein Leben hing davon ab! Okay, ich übertrieb vielleicht ein ganz kleines bisschen. (Rechtfertigung: Siehe Klammer oben).
Nachdem ich einige Apps gelöscht hatte, war diese Hürde überwunden ich konnte die App endlich spielen. Ich war sogar bereit mich dem Reallife zu stellen, auch wenn es eine große Überwindung für mich war und ich nach der Reizüberflutung, die mich draußen erwartete, höchstwahrscheinlich erstmal ins Krankenhaus musste, doch ich war dazu bereit. Nachdem ich mich mit großer Mühe meiner My Little Pony Pyjamahose und meinem Gammelshirt entledigt und mir frische Klamotten angezogen hatte, konnte es losgehen. Ich raste die Treppen hinunter und verließ das Haus. Bereit auf Pokémonjagd zu gehen um die Beste zu werden! Voller Vorfreude öffnete ich die App und starte freudig den sich füllenden Ladebalken an. Doch dann passierte 'es'. 'Es', das alles vernichten und mich in ein tiefes Loch der Verzweiflung schmeißen würde. 'Es' bestand nur aus zwei Teilen. 5 Worte.
„Serverfehler. Bitte später erneut versuchen.“
Ich machte auf dem Absatz kehrt. Zog meine Schuhe im Flur aus und ließ sie einfach dort liegen. Auf dem Weg nach oben zog ich auch meinen Pullover und die Hose wieder aus. In meinem Zimmer angekommen legte ich das Handy auf das nächste Regal, ließ mich auf mein Bett fallen und griff nach dem 3DS, der auf meinem Nachttisch lag. Wer brauchte schon Pokémon GO, wenn man Platin hatte? Und dafür musste ich nicht mal das Haus verlassen.
Gemächlichen Schrittes setze ich meine heutige Runde durch die Stadt fort. Keine größeren Zwischenfälle. Ich konnte ein Dratini fangen, zwei Karpador, einige Evoli. Bälle sind mir heute auch nicht ausgegangen. Außerdem zwei gelbe und eine blaue Arena mithilfe meines mächtigen Simsala zur guten Seite bekehrt.
Ich blicke auf die Zeitanzeige meines Handys. Halb neun abends. Ich sollte mich wohl schnell auf den Weg nach Hause machen, bevor die Gangs wieder aus ihren Löchern gekrochen kommen. Nach zwanzig Uhr sollte man sich eigentlich nicht mehr auf der Straße blicken lassen. Am besten nehme ich wohl den direktesten Weg. Der führt zwar durch eine ziemlich düstere Gasse, aber das ist immer noch besser, als doppelt so lange zu brauchen, weil man erst die ganze Straße runter laufen muss.
Ich blicke erneut auf mein Handy. Hier bei der Kirche ist ein PokéStop, den kann ich noch mitnehmen. Danach sollte ich mich beeilen.
Ein kühler Wind pfeift sein schauriges Lied, als ich an jenem düsteren Durchgang ankomme. Links und rechts hohe Häuser, dazwischen Müll und Gestank ... und mein Weg nach Hause.
Ich atme noch einmal tief durch, betätige zur Ablenkung den PokéStop an dieser Ecke und richte dann meinen Blick nach vorne. Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren. Unsicher, gar ängstlich setze ich meinen Weg fort, dort hinein. Meine Hände schwitzen, meine Beine werden immer schneller. Mein Blick ist starr nach vorne gerichtet, ich wage es nicht, mich zur Seite zu drehen, aus Angst, im Augenwinkel irgendetwas zu erspähen.
Das Geräusch einer umfallenden Mülltonne.
Panisch drehe ich mich herum. Dort ...
Ich beginne zu zittern. Pure Angst breitet sich in mir aus. Sie schnürt mir den Hals zu. Sie lähmt mich. Ich bin unfähig, mich von der Stelle zu rühren.
Die Männer kommen auf mich zu. Fünf Männer, komplett in Blau gekleidet. Sie sind groß, Mitte zwanzig. Einer von ihnen zieht ein metallenes Rohr hervor.
"Du bist keiner von uns, nicht, Kleiner?", fragt er, auf seinem Gesicht der pure Hass. "Weißt du nicht, was wir mit euch roten Ratten anstellen?" Er schwingt sein Rohr und schlägt damit eine der Mülltonnen, die eine riesige Delle davonträgt.
Ich schlucke. Ich gehe langsam rückwärts, in dem vergeblichen Versuch, den Männern zu entkommen. Doch es hilft nichts. Sie kreisen mich ein.
"Simsala, steh mir bei", flüstere ich. Ein letztes Flehen an ein virtuelles Monster. Ich weiß, ich bin verloren. Ich weiß, Simsala kann mir nicht helfen. Es ist noch nicht einmal echt.
Mein Körper zittert, Tränen der Verzweiflung schleichen sich aus meinen Augen. Ich wollte doch nur Spaß haben. Spaß mit einer harmlosen Smartphone-App.
Oder zumindest dachten alle, dass sie harmlos sei. Bis das hier entstand. Banden, die sich gegenseitig bis aufs Blut bekämpfen, ohne Gnade, ohne Sinn und Verstand, ohne die Gemeinschaft zu fühlen, die uns doch eigentlich verbinden sollte.
Warum kämpfen wir? Warum kämpfen wir um eine virtuelle Vorherrschaft in virtuellen Arenen, in denen wir unsere virtuellen Monster abstellen? Ich verstehe es nicht. Ich habe es nie verstanden. Ich bin doch nur ein Pokémon-Fan, der sie einmal mehr alle schnappen wollte. Aber jetzt haben sie mich geschnappt.
Ich blicke auf meine leeren Hände. Mein Smartphone habe ich heute schon weggesteckt, in der Hoffnung, sie würden mich nicht als Spieler erkennen. Doch sie kennen jeden.
Meine Sicht wird unklar, verschwimmt. Mein Herz schlägt immer schneller. Mir wird heiß, unerträglich heiß. Ich höre die Worte der Männer wie durch Watte. Etwas scheint nicht richtig zu sein.
Aber das ist mir gerade recht. Nun ist meine Zeit. Ich spüre Wut tief in mir, ich fühle mich mächtig. Wie ferngesteuert erhebe ich meine Hände. Sie schimmern gelb. Ich sehe so klar wie nie zuvor.
Ein Energieschwall, gefüttert mit meiner Wut, fegt zwei der Angreifer von ihren Beinen. Sie landen im Dreck. Ein weiterer Energieschwall schleudert zwei der übrigen Männer gegen die Wand. Wie Feiglinge sehe ich sie davonrennen.
Der letzte verbleibende Angreifer schwingt sein stählernes Rohr, doch um meinen Körper bildet sich ein Schutzschild, an dem er nur abprallt. Nun fokussiere ich meine ganze Wut, mein Entsetzen, meine Traurigkeit, all meine Emotionen nur auf ihn. Ich hebe die Hand hoch. Er ist in der Luft gefangen, bewegungsunfähig. Mit der anderen Hand hole ich aus und schleudere ihn die Straße hinab. Er steht wieder auf, seine Waffe fest umklammert. Er rennt auf mich zu. Ich forme einen riesigen Löffel aus der neu gewonnenen Kraft, die mir nun innewohnt.
Wir treffen aufeinander. Metallkraft gegen Mentalkraft. Sein Rohr zerspringt in tausend Teile. Bezwungen und entwaffnet versteht er nun endlich, dass auch er keine Chance mehr gegen mich hat und rennt davon.
Ich beruhige mich wieder. Das seltsame gelbe Schimmern auf meiner Haut schwindet. Nun kann ich meinen Heimweg endlich ungestört fortsetzen. Oder sollte ich lieber ...?
Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Nein. Dies ist meine Nacht.
17-Jähriges Mädchen tot aufgefunden im Central Park, Täter wurde bereits in Gewahrsam genommen, schreibt die Zeitung in einer Nebenspalte der New York Times. Gleich darunter die neusten Trends, während die Titelseite von einem korrupten Politiker erobert wurde. Vereinzelte Tränen stehlen sich davon und prasseln auf das Bild vom Tatort. Paiges Mutter kann sie nicht zurückhalten, ihre Hände beginnen, sich stärker und stärker zu verkrampfen bei dem winzigen Artikel…
10 Stunden zuvor…
„Paige, wann wirst du heute Zuhause sein? Ich mag es nicht, wenn du so spät noch unterwegs bist, das weißt du doch.“
„Mama, ich bin in einer Stunde Zuhause, mach dir keine Sorgen, bitte“, gab ich meiner Mutter mit meinem speziellen Unterton zu wissen. Ich wusste genau, dass sie mit meinem leicht wehleidigen Unterton nachgeben würde. Schon als Kind habe ich damit eine extra Kugel Vanilleeis schnorren können und ich bin mir über einen erneuten Erfolg bereits im Klaren.
„Ich werde dann langsam das Essen vorbereiten. Pass auf dich auf, meine Kleine.“
Ich wusste es, sie hat nachgelassen! Mama war schon immer viel zu besorgt um mich, weil sie als Kind beinahe bei einem Autounfall ums Leben kam, weil irgendein Idiot den Zebrastreifen nicht bemerkte. Sie kam mit Prellungen ins Krankenhaus, aber nichts Schlimmes letztendlich. Das war allerdings ihre Begründung dafür, dass ich jederzeit in einer Gefahr schweben könnte und am liebsten würde sie mich permanent überwachen lassen.
Ich bin eigentlich auch nur den langen Weg gegangen, um im Central Park bei Nacht zu jagen. Es mag kindisch klingen, aber auch im Alter von 17 Jahren kann ich Pokémon fangen gehen. Sophie, meine beste Freundin, und ich waren den ganzen Tag unterwegs gewesen, um Pokémon zu sammeln, aber in der Nacht traute sie sich in der großen Stadt nicht hinaus. Seit Pokémon GO erschienen ist, haben wir uns pausenlos mit dem Fangen der kleinen Monster beschäftigt. Auch heute wollte ich mir einen kleinen Vorteil erspielen, der in unserem inoffiziellen Konkurrenzkampf entscheidend sein könnte. Aber bevor ihr mich verurteilt, sei gesagt, dass sie zwei Wochen im Ausland unterwegs war und extrem seltene Pokémon für sich gewinnen konnte, während ich mit popligen Rattfratz überschüttet wurde. Deshalb erhoffe ich mir ein paar Zuckerstücke in den Dunkelstunden, die sich hier im Central Park gerne mal versteckten. Erst letztens gab es ein Aquana an diesem Ort und die Leute sind fast ausgerastet, um es sich zu schnappen.
Nach einer Weile entdecke ich endlich den Schatz, den ich mir erhofft hatte. Ein Lockmodul strahlt in wunderschönen Farben hell auf meinem Handydisplay auf und markiert den Punkt, wo sich in kürzester Zeit die Pokémon der Umgebung versammeln werden. Wenige Schritte trennen mich von der Position. Einzelne Teile des Parks sind beleuchtet, allerdings scheint der große Baum, an dem das Lockmodul platziert wurde, eher im Schatten verhüllt zu sein. Ein leichter Lichtschimmer der Laternen lässt Umrisse der Umgebung erkennen, allerdings nur vage Bilder.
„Wer ist da?!“, brüllt plötzlich eine grimmige Stimme aus der Dunkelheit heraus. Mein Körper verharrt sofort in seiner Position. Alles fühlt sich angespannt an als hätte die Stimme mich mit einem Gift lahm gelegt. Bevor der Mann aus dem Schatten tritt, lasse ich mein Handy flink in der Tasche verschwinden. Ich weiß nicht wieso, aber mein Körper verweigerte das Wegrennen. Jeder normale Mensch würde sich so einer unheimlichen Stimme sofort entziehen wollen, zumindest wenn die Nacht bereits eingesetzt hat, aber ich fühle mich wie verlangsamt und unfähig, mehr als meine Arme zu bewegen. Sogar ein leichtes Zittern durchströmt meinen Körper und das obwohl er lediglich gesprochen hat. Kenne ich seine Stimme vielleicht doch? Sie fühlt sich so negativ behaftet an, aber keine Erinnerung scheint zu passen.
Aus dem Schatten erscheint ein 2 Meter Hüne, der bereits vom Aussehen her nicht den intelligentesten Eindruck hinterlässt. Kurzgeschorene Haare, ein leichtes Karomuster auf seinem Hemd und eine blaue Jeans lassen sich aus den Fetzen der Dunkelheit herauskristallisieren. Nein, ich kenne diesen Mann nicht und doch fühlt sich seine Anwesenheit bedrohlich an. In dieser verrückten Stadt gab es eine Menge Menschen, denen die meisten lieber aus dem Weg gingen. Dieser Typ war sicherlich einer jener Menschen.
„Du hast es gesehen, oder? Bist du ein Bulle?!“, schimpft der verstörende Mann, dessen Finger leicht zittern und…Blut behaftet sind?! Mein Atem stockt für einen Moment.
Eine Jugendliche zu fragen, ob sie eine Polizistin sei, war schon ziemlich zweifelhaft, aber genau das machte ihn gefährlich. So jemanden würden mehrere Verbrechensicherlich nicht belasten.
„I-Ich habe gar nichts gesehen, wollte nur nach Hause“, stottere ich aus Reflex und hebe meine Hände zur Beschwichtigung, damit er nicht völlig ausflippt. Na toll, da folge ich meinem Pokémon GO und lande stattdessen in einem Krimifilm. Für einige Sekunden mustere ich die Dunkelheit, ob nicht vielleicht jemand in Sichtweite sein könnte, aber in der näheren Umgebung scheint niemand zu sein und wer geht schon während einer solchen Dunkelheit in den Central Park? Niemand, außer der Idiotin genau hier.
„Du wirst dann eben die Nächste Trophäe werden“, gibt mir der gruselige Typ zu wissen und seine Fäuste ballen sich. Mit jedem kleinen Schritt, den er in gefühlter Zeitlupe auf mich zukommt, höre ich mein Herz lauter schlagen. Mein Körper verharrte noch immer in dieser Position. Die Erscheinung lässt mich allerdings sowieso darauf schließen, dass er mich schnappen könnte. Ein Riese, muskulös, im Vergleich zu meinen 1,60 Meter, da würde er mich schnell einholen.
Das Zittern wird immer stärker, meine Hände verkrampfen sich immer mehr, egal wie sehr ich mich gegen die lähmende Angst wehre, aber es hilft nichts.
„Was ist das?!“, schreit der Hüne plötzlich los und mit seinem Aufschrei bemerke ich verspätet, dass mein Handy vibriert. Dass ich die Vibration aufgrund der Pokémon voll aufgedreht hatte, war jetzt möglicherweise meine Chance, um diesem Trottel zu entgehen.
„Das ist die Polizei!“
„Du bluffst!“
„Sie werden jede Sekunde hier sein, glaub mir ruhig!“
Das Letzte, an das ich mich nach meinem Ablenkungsmanöver erinnere, ist die Faust, die mich traf. Laut der Polizei, die mich natürlich befragten und nach einer Gegenüberstellung fragten, hatte der Täter mich, mit einem gezielten Schlag ins Gesicht, bewusstlos geschlagen und ist geflohen, aber wurde aufgrund der Beweise und Zeugen schnell gefasst. Ich wünschte, dass ich mich mit dem Blut an seinen Händen geirrt hätte, jedoch war es tragischer Weise nicht so. Er hatte versucht, ein getötetes Mädchen an dem großen Baum zu vergraben, wo er ihr aufgelauert hatte. Ob er sie ursprünglich ausrauben wollte oder irgendwas anderes geplant hatte, ist der Polizei bisher nicht bekannt, aber das wird der betroffenen Familie sicherlich nicht viel helfen…
Ich kannte sie nicht. Ich konnte ihr nicht helfen und doch gab mir jeder Gedanke an die Nacht einen schmerzlichen Nachgeschmack. Das hätte auch ich sein können, die diesem kranken Menschen, obwohl ich ihn nicht mal als Menschen betiteln möchte, in die Arme läuft. Während ich über die Nacht nachdachte, betrachtete ich meine Mutter vom Türrahmen aus. Sie lass die Zeitung und dass sie mich gestern weinend umarmte, war nicht gerade aufheiternd, wenn ich doch Schuld an ihrer Sorge trug. Sie hatte mich mehrfach angerufen, zumindest zeigt die Anruferliste mir deutlich, wie viele Sorgen sie sich gemacht haben muss. Schließlich kam ich nicht nach Hause und war im Krankenhaus und bis die sie benachrichtige hatten, dauerte es.
„Tut mir leid“, hauche ich ihr ins Ohr und arme sie fest. Vereinzelte Tränen von ihr prasselten bereits auf die morgendliche Zeitung.
„Das hättest du sein können, Paige…“ Der Rest ihrer Worte verschwand im leichten Wimmern. So traurig hatte ich meine Mutter seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt und seit diesem Tag wandere ich nicht irgendwo in der Nacht umher, zumindest nicht alleine oder an ruhigen Orten. Pokémon GO spielte ich dennoch weiter, denn ich wusste, dass das Spiel keinerlei Schuld an diesem Erlebnis hatte und letztendlich wurde immerhin der Täter gefasst, wenn auch leider zu spät für das Mädchen. Pokémon GO hatte mich nicht in die Lage gebracht, meine waghalsige Aktion war dafür verantwortlich gewesen. Ich frage mich nur, welches Pokémon mich gerettet hat in dieser Nacht, denn es hat die Vibration ausgelöst und mir damit mein Leben gerettet. Ich sollte einfach alle Pokémon fangen, wie der Slogan von Pokémon es immer nahelegte, denn dann besitze ich es irgendwann, auch wenn ich nie erfahren werde, welches Pokémon der geheimnisvolle Retter war.
„Und, Mia, willst du noch einen Pfannkuchen?“
Noch bevor ich meiner Mutter auf diese Frage antworten konnte, unterbrach mich das Klingeln meines PokéComs. Schon vor einigen Jahren war das Gerät in verbesserter Form auch nach Kanto gekommen – Johto hatte schnell nachgerüstet. Inzwischen besaß fast jeder in dieser Doppelregion ein solches Supergerät. Auf meinem leuchtete nun der Name „Prof. Eich Junior“ auf. Diesen hatte meine Mutter eingespeichert, als ich es noch nicht konnte, und ich hatte ihn nie geändert, obwohl es Johnny nicht gefiel, wenn man ihn „Professor Eich“ nannte. Er fand, der Name würde zu sehr mit seinem Vater und vor allem seinem Urgroßvater in Verbindung gebracht, was man ihm auch nicht verübeln konnte – die beiden hatten große Forschung auf dem Gebiet der Pokémon betrieben – aber Johnny arbeitete schon seit Längerem an einer Erfindung, die das Leben eines jeden Trainers revolutionieren würde. Und ich wartete schon sehnsüchtig darauf, dass er seine Forschung beendete – oder es zumindest für einen Testlauf reichte. „Sorry, da muss ich rangehen!“ Ich sprang vor Aufregung vom Stuhl, während ich auf Abheben drückte.
„Mia? Hier ist Johnny. Wie schön, dass ich dich erreiche. Es ist endlich so weit!“, meldete sich die Stimme am anderen Ende. Und ich musste mich zusammenreißen, nicht gleich loszukreischen. Es war endlich so weit! Endlich konnte ich meine Pokémonreise beginnen!
Statt zu kreischen, lachte ich kurz auf, ungläubig und glücklich. Meiner Mutter zuliebe hatte ich darauf verzichtet, meine Reise bereits mit zehn zu starten, was zwar heutzutage nicht mehr die Norm, aber dennoch nicht unüblich war. Ich hatte sie aber dazu überreden können, dass ich dann losziehen durfte, wenn Johnny seine Forschung beendet hatte und junge Trainer benötigte, die sie testeten.
„Du klingst ja genauso glücklich wie ich“, entnahm Johnny meiner Reaktion. „Kannst du gleich rüber kommen? Dann zeige ich dir, wie es funktioniert.“
Noch immer geflasht von den Neuigkeiten nickte ich, ehe mir auffiel, dass er das ja gar nicht sehen konnte – zumindest solange ich nicht das Viso-Caster-Update installierte. „Ja“, erwiderte ich deswegen, „ja, klar, ich komme sofort vorbei!“
„Das freut mich, zu hören. Dann bis gleich.“ Damit legte er auf und ließ mich nach einem einsamen „Tuut“ völlig perplex in der Gegend stehen. Ich würde jetzt zu Johnny gehen und seine Erfindung sehen. Ich würde endlich meine Pokémonreise beginnen. Heute! Und mit dem Gedanken begann ich tatsächlich zu kreischen. Ich lief zurück in die Küche und fiel meiner überrascht schauenden Mutter um den Hals: „Johnny ist fertig! Ich bekomme ein Pokémon!“
Vorsichtig schob sie mich von sich weg, um mir in die Augen zu sehen. „Wirst du denn gar kein Heimweh haben?“
„Aber Mama“, entgegnete ich mit einem Lächeln, „ich werde doch nicht sofort gehen. Ich guck mir erstmal an, was Johnny da gezaubert hat. Immerhin braucht eine Reise auch Vorbereitung. Ein kleines Bisschen wirst du mich also noch ertragen müssen.“
Mit diesen Worten gab ich ihr einen Kuss auf die Wange und wandte mich zum Gehen. „Ich bin zum Abendessen wieder da!“, rief ich, während die Tür hinter mir ins Schloss fiel.
Das Pokémonlabor war das größte Gebäude in Alabastia, doch statt zum Haupteingang zu gehen, wandte ich mich dem kleineren Nebengebäude zu. Johnny hatte diese Räume für seine Experimente von seinem Vater übernommen, als dieser nach dem Tod des alten Professors ins Hauptlabor gezogen war. Wie immer begrüßte mich direkt am Eingang Johnnys Smettbo, indem es fröhlich um meinen Kopf schwirrte. Smettbo war Johnnys ältester Freund und half immer gerne als Versuchsschmetterling bei seinen Projekten, gleichzeitig erinnerte es Johnny daran, dass er vorsichtig sein musste, um seinen Freund nicht in Gefahr zu bringen. Die beiden waren ein tolles Team.
Johnny selbst stand am anderen Ende des großen Raumes, der voll war mit elektrischen Geräten, deren Funktion ich nicht in hundert Jahren begriffen hätte. Er war damit beschäftigt, drei Geräte zu drapieren, die entfernte Ähnlichkeit mit einem Pokédex aus der Einallregion hatten, und schien mich gar nicht zu bemerken. Also ging ich zu ihm, um ihn bei seiner Millimeterarbeit zu beobachten. Als er mit der Anordnung zufrieden zu sein schien, drehte er sich um und zuckte erschrocken zusammen. „Mia, du bist ja schon da. Warum sagst du denn nichts? Na egal. Das hier ist die Revolution der Pokémonwelt!“ Stolz machte er eine Handbewegung in Richtung der drei Geräte. Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Und was ist das?“, wollte ich von ihm wissen. „Du hast immer ein riesiges Geheimnis um die ganze Sache gemacht.“
„Das hier ist ein Neubeginn. Dies ist die Zukunft! Mit diesem Gerät wirst du die Pokémon fangen.“
Ich prustete los. „Ja, klar“, lachte ich, „Pokébälle sind ja vollkommen überbewertet. Wie soll man ein Pokémon mit einem Pokédex fangen?“
„Das ist kein Pokédex“, wehrte Johnny ab. „Na ja, eigentlich ist da auch ein Pokédex mit drin, aber seine Hauptfunktion ist das Fangen von Pokémon. Und Pokébälle sind nicht überbewertet, ich habe nur eine Möglichkeit gefunden, dass du sie nicht mehr alle schleppen musst.“ Er nahm eines der Geräte auf, drückte auf dem Monitor herum und tatsächlich erschien plötzlich wie aus dem Nichts ein Pokéball in seiner Hand.
Mit offenem Mund starrte ich auf die rot-weiße Kugel, die sich soeben materialisiert hatte. „Ist der echt“, fragte ich und stupste mit einem Finger gegen den Ball, der daraufhin – wie ein echter Pokéball – auf den Boden fiel. „A-a-“, stotterte ich, „aber wie?“
„Nun, das ist ein Betriebsgeheimnis. Es soll ja nicht jeder meine Erfindung einfach nachbauen können. Außerdem ist das alles etwas kompliziert zu erklären.“
Ich war immer noch baff. Er hatte gerade einen Pokéball aus dem Nichts auftauchen lassen – was war dann mit den Pokémon? War dort eines drin?
„Was die Pokémon angeht“, begann Johnny nun zu erklären, als hätte er meine Gedanken erraten, „so sind sie von ihrer Beschaffenheit anders als wir Menschen. Ich will dich nicht mit Details langweilen – oder verwirren – aber es ist dasselbe Prinzip, das auch bei normalen Pokébällen angewendet wird. Ich habe nur noch einen Schritt weiter gedacht.“ Der junge Professor warf den Ball, wie man jeden anderen, normalen Pokéball auch geworfen hätte, und heraus kam ein kleines Glumanda. „Wie jedem anderen Trainer auch, möchte ich dir die Möglichkeit geben, zwischen Glumanda, Schiggy und Bisasam zu wählen.“ Während er das sagte, ließ er auch über die anderen beiden Geräte Pokébälle erscheinen, aus denen dann die anderen beiden Starter erschienen. „Wenn du allerdings deine Wahl getroffen hast, dann wird dich einiges von anderen Trainern unterscheiden. Du wirst deine Pokémon nicht in ihren Bällen an deinem Gürtel tragen, sondern sie werden in diesem kleinen Gerät verwahrt. Das verschafft dir allerdings einen riesigen Vorteil: Du kann mehr als sechs Pokémon auf deiner Reise bei dir haben. Außerdem hast du immer Kontakt zu meinem Labor, wenn du ein Pokémon zu mir senden möchtest. Auch die leeren Pokébälle musst du, wie erwähnt, nicht mehr selber schleppen, sie sind bereits im System integriert. Da es allerdings noch etwas völlig Neues ist, musst du auch ein paar Abstriche machen. Um neue Pokébälle zu bekommen, musst du zu mir kommen, denn normale Bälle sind mit dem System nicht kompatibel. Außerdem konnte ich bisher nur die Daten der ersten hundertfünfzig Pokémon eintragen; es wird dir also nur möglich sein, die hier ursprünglich einheimischen Pokémon zu fangen. Allerdings gibt es eine – wenn auch noch nicht ganz fehlerfreie – Möglichkeit, zu sehen, welche Pokémon sich in deiner Umgebung aufhalten. Es soll sogar irgendwann eine Art Lockduft beinhalten, mit dem du wilde Pokémon anlocken kannst, aber das ist noch Zukunftsmusik. Also was sagst du? Kannst du damit leben? Wirst du als erste die Zukunft der Pokémon testen?“
Ich hatte während Johnnys Vortag so fasziniert zugehört, dass mir erst jetzt auffiel, dass ich mich hingekniet hatte und gedankenversunken Glumandas Kopf streichelte. Ich sah zu dem jungen Mann in seinem Laborkittel auf. Was er hier fabriziert hatte, war tatsächlich eine Revolution in der Pokémonwelt.
„Ich weiß, es ist ein wenig viel auf einmal“, erklärte er nun, „aber dir wird alles noch einmal vom Gerät selbst erklärt. Und wenn man einmal den Bogen raus hat …“
Ich lächelte, nahm das Glumanda in den Arm und erhob mich wieder. „Ich bin beeindruckt“, sagte ich nun, „und ich wähle Glumanda.“
„Glu-glu“ machte das kleine Ding in meinem Arm, als sei es genauso zufrieden mit meiner Entscheidung wie ich.
„Dann ist dieses nun deins“, meinte Johnny und reichte mir das erste Gerät. Jetzt sah ich, dass der Bildschirm fast die gesamte Vorderseite einnahm. Seine Verkleidung schimmerte in rot, blau und gelb.
„Weisheit, Wagemut, Intuition“, las ich. „Was bedeutet das?“
„Ach“, sagte Johnny mit einer abweisenden Handbewegung, „das ist nur eine Gedankenspielerei.“
Ich sah ihn skeptisch an, denn ich kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er seine Gedankenspielereien immer umsetzte. Da er aber sonst nichts mehr dazu sagte, beließ ich es dabei. Stattdessen hatte ich noch eine andere Frage: „Wenn mich irgendjemand fragt, was das ist, was soll ich antworten?“
„Oh, hab ich dir den Namen noch gar nicht verraten?“, fragte Johnny und seine braunen Augen funkelten vor Stolz auf seine Erfindung. „Das ist Pokémon-Go.“
Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen, als ich an einer kleinen Gruppe Jugendlicher vorbeiging, die auf dem Grünstreifen neben dem Gehsteig standen und interessiert in ihre Smartphones schauten. Ganz klar waren sie auf der Jagd nach Pokémon. Bei fast jedem, den man auf der Straße traf, konnte man sich sicher sein, dass er wegen Pokémon Go so angestrengt auf das Display seines Handys starrte. Irgendwie machte es mir großen Spaß die ganzen Leute dabei zu beobachten, die vielleicht das erste Mal mit den Taschenmonstern zu tun hatten, mit denen ich aufgewachsen war. Natürlich lief die App auch bei mir — immerhin hatte ich noch ein paar Kilometer zu laufen, bis diese Eier ausgebrütet waren.
Es war mein freier Tag und die Sonne schien so herrlich, dass ich mich dazu entschlossen hatte ein wenig in der Stadt herumzulaufen. Wenigstens war es ausnahmsweise nicht so heiß, dass ich das Gefühl hatte bei lebendigem Leibe gebraten zu werden — trotzdem hatte ich vorsorglich an den Sonnenschutz gedacht. Ich wollte ja Pokémon von meinem Ausflug zurückbringen und keinen Sonnenbrand.
„Schon schade, dass ich hier in der Stadt niemanden kenne“, ging es mir durch den Kopf, als ich die Stufen zur U-Bahn herunter ging. „Wäre sicherlich lustig gemeinsam Pokémon zu fangen.“ Am Bahnsteig sah ich aus Neugier auf mein Smartphone, in dem Moment vibrierte es in meiner Hand und zeigte mir ein nahes Zubat an. Ich musste lächeln, weil es ja wohl keinen besseren Ort für die Fledermaus gab, als hier unten. Ein paar Schritte ging ich auf es zu, tippte den Bildschirm an und hatte das aufgeregt flatternde Pokémon direkt vor mir. Mit meinem Zeigefinger berührte ich den Pokéball am unteren Rand an und wischte in einer schnellen Bewegung über das Display, sodass die Kapsel geworfen wurde. Sie traf das Zubat, öffnete sich und nach ein paar Bewegungen blieb der Ball stehen. Der Fang war erfolgreich gewesen.
„Perfekt“, murmelte ich leise und steckte das Smartphone — ohne den Bildschirm zu sperren — vorsichtig in die Hosentasche, als die U-Bahn gerade aus dem Tunnel in die Station einfuhr. Nach nur drei weiteren Stationen stieg ich wieder aus. Ich hätte auch direkt in die Innenstadt fahren können, aber ich wollte lieber zu Fuß gehen und die Gegend ein wenig erkunden. Bisher hatte ich mich vor allem in den U-Bahnstationen aufgehalten, aber das wollte ich heute ändern. Als ich gerade die Stufen zur Oberfläche nach oben stieg, spürte ich wieder, wie mein Smartphone vibrierte. Ich ging noch bis nach oben und stellte mich dann neben die Treppe, damit mich niemand umrennen konnte. Dabei hatte ich mich ohne es zu wissen dem aufgetauchten Rattfratz sogar genähert. Ein Ball und schon war die kleine, lilafarbene Ratte gefangen.
„Läuft ja super“, dachte ich mir und sah mich um. „Mal sehen, vielleicht find ich sogar den PokéStop in der Nähe.“ Einige Straßen weiter erkannte ich auf der Karte in der App eine blaue Markierung. Da wollte ich hin. Ich richtete die Karte so aus, dass ich den Weg direkt vor mir hatte und lief mit Smartphone in der Hand los. Als ich jedoch nach wenigen Schritten auf dem Gehsteig wütendes Fahrradklingeln hinter mir hörte, war mir klar, dass ich besser aufpassen musste. Ohne es zu bemerken, war ich nämlich auf dem Fahrradweg gelaufen. Der Radfahrer raste nur wenige Zentimeter neben mir vorbei.
„Nicht ganz ungefährlich“, schoss es mir durch den Kopf, als ich das Smartphone doch in die Hosentasche schob und mich voll auf meine Umwelt konzentrierte. Es würde ohne gesperrten Bildschirm sowieso vibrieren, wenn ein Pokémon auftaucht.
Nachdem ich an einer Ampel die Straße überquert hatte, stellte ich mich an die nächste Häuserwand und holte mein vibrierendes Smartphone hervor. In meiner Nähe waren gleich drei Pokémon, die ich mit nur wenigen Bällen fangen konnte. Eines von ihnen war ein Evoli, was mich besonders freute. Der kleine Kerl sah besonders niedlich aus, aber ich war auch glücklich auch noch mal Taubsi und Paras erwischt zu haben. Ich schaute noch einmal kurz nach den Eiern, die ich ausbrüten wollte und stellte zufrieden fest, dass mir nur mehr wenige hundert Meter fehlten.
„Wenn die Server nicht plötzlich anfangen zu zicken, kann ich heute auch noch die zwei Eier ausbrüten!“, dachte ich, als ich mich wieder auf den Weg machte — der nächste PokéStop war nur noch wenige Meter entfernt.
Zu meiner Verwunderung war der PokéStop ein Haus, das auf den ersten Blick unscheinbar wirkte. Ich klickte noch mal die blaue Markierung auf meinem Bildschirm an und mir wurde ein rundes Foto angezeigt, auf dem eine Malerei zu sehen war. Noch mal betrachtete ich die Fassade des Gebäudes und tatsächlich! An der Seite, bevor das nächste Haus daran anschloss waren mehrere Tiere auf die Wand gemalt. Sie waren stark stilisiert gezeichnet, die Ohren der Hasen waren etwas zu lang, die Beine der Rehe ein wenig zu dünn. Trotzdem war die Szene sehr schön anzusehen und nachdem ich die runde Plakette auf meinem Bildschirm mehrere Male mit dem Finger angestupst hatte, damit sie sich drehte und ich die vier Pokébälle eingesammelt hatte, blieb ich noch eine Weile dort stehen.
„Das hätt ich so vielleicht nie entdeckt“, murmelte ich und als ich den Kopf von der Kunst abwandte, sah ich einen jungen Mann in meinem Alter ebenfalls vor dem Gebäude stehen. Er blickte von seinem Smartphone auf und unsere Augen trafen sich für einen kurzen Moment. Ich lächelte ihn schüchtern an, bevor ich mich umdrehte und weiter der Straße folgte. Neben mir wuchsen in regelmäßigem Abstand Linden neben dem Gehsteig und spendeten Schatten. Hinter mir hörte ich Schritte, dachte mir aber nicht viel dabei, da ich mich darüber wunderte, in welchem Teil der Stadt ich wohl gelandet war. Es schien eine Wohnsiedlung zu sein, denn hier reihte sich ein Reihenhaus an das nächste, mit hübschen Gartenzäunen davor und gepflegten Gärten dahinter. Der Duft von Rosen lag in der Luft und ich hörte Vögel in den Bäumen zwitschern.
„Hoffentlich gibt’s hier in der Gegend irgendwo eine U-Bahnstation“, ging es mir durch den Kopf, als ich wieder das Smartphone zur Hand nahm und auf das Display schaute. Als ich darauf ein Ei groß abgebildet sah, blieb ich gleich stehen und tippte darauf. Gespannt sah ich dem Ei dabei zu, wie es immer mehr Risse bekam und schließlich in einem hellen Licht die Schale zerbrach. Stattdessen saß dort nun ein Rettan.
„Wow, Glückwunsch!“, sprach mich eine Stimme von hinten an und ich drehte mich augenblicklich um. Vor mir stand der junge Mann von vorhin.
„D-danke“, brachte ich etwas verstört hervor.
„Oh, tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich war nur so neugierig, ob du auch vor dem Haus gestanden hast, weil da ein PokéStop ist. Aber du bist dann gleich gegangen, da wollt ich dir nicht hinterher rufen“, erklärte er sich mit einem freundlichen Lächeln. „Bist du öfter hier unterwegs?“
„Nein, das ist das erste Mal. Ich bin sonst nicht in der Gegend“, erwiderte ich und versuchte mich zu beruhigen. Das war schon ein wenig unheimlich, dass er mir einfach gefolgt war.
„Ich auch nicht“, gab er zu. „Hatte heute keine Vorlesungen und dachte mir, ich lauf mal bissl herum, Eier ausbrüten.“
„Dasselbe hab ich mir heut morgen auch gedacht“, sagte ich lächelnd. „Nur leider, kenn ich mich hier gar nicht aus und weiß nicht mal, wo die nächste U-Bahnstation ist.“
„Ich bin vorhin schon hier lang gegangen. Die nächste Station ist gleich da vorn ums Eck“, meinte er, „ist nämlich auch ein PokéStop. Ich hab den Block dann noch mal umrundet, weil ich das Haus vorhin nicht gleich gefunden hab. Wenn du willst können wir gemeinsam hingehen, ich wollt auch grad wieder zurück.“
„Gerne“, erwiderte ich und so liefen wir eine Weile schweigend nebeneinander, bis er plötzlich stehenblieb.
„Traumato. Da hinten!“, sagte er plötzlich und begann zu laufen. Mein Smartphone vibrierte nun auch und zeigte mir das Psycho-Pokémon an.
„Moment, ich komm auch!“, rief ich ihm hinterher und folgte so gut ich konnte. Er blieb vor einer Hecke zum Stehen und wischte über seinen Bildschirm. Ich tat es ihm gleich und nach wenigen Augenblicken hatten wir beide erfolgreich das Traumato gefangen.
„Perfekt!“, meinte er breit grinsend. „Ich such schon ewig nach einem.“
„Da hatten wir wohl Glück heut“, erwiderte ich und steckte mein Smartphone wieder ein.
„Vielleicht sollten wir öfter gemeinsam suchen, was meinst du?“
„Öhm, ja, das könnten wir machen“, gab ich etwas überrumpelt zurück.
„Ach ja, ich heiße Chris und studier Maschinenbau an der Uni hier“, stellte er sich plötzlich vor und hielt mir die Hand hin. Verwirrt griff ich danach und meinte: „Hana, ich arbeite in der Stadtbibliothek.“
„Freut mich dich kennenzulernen“, erwiderte er. „Wollen wir jetzt zur U-Bahn?“
„Klar gerne — es sei denn, es taucht noch ein Pokémon auf“, entgegnete ich grinsend.
Opal: Hey, sag mal, du meintest doch neulich, du spielst Videospiele ...
Saphir: Ja, wieso?
Opal: Spielst du eigentlich auch Pokemon Go?
Saphir: Du hast das auch?
Opal: Ja! Welchem Team bist du beigetreten?
Saphir: Das mit dem fliegenden Pikachu ^-^
Opal: …
Saphir: Reingelegt
Opal: Jage mir doch nicht so einen Schrecken ein xD
Saphir: Lust morgen an der Uni zusammen Pokemon fangen zu gehen
Opal: Sehr gerne. Hast du um 12 Uhr frei? Dann können wir gleich zusammen essen
Saphir: Gerne, würde mich freuen
Opal: Dann bis morgen
Saphir: Bis Morgen
Opal: :3
Saphir: :-D
Tja und um 11:50 stand ich schließlich in der halbleeren Mensa, die mir sonst immer so klein erschien, bevor ich kurz darauf erneut auf mein Handy blickte, dass mir sagte, dass gerade mal eine Minute verstrichen war, bevor ich es seufzend wieder in meine Hosentasche steckte. Ich sollte aufhören, jedes mal so einen Aufstand zu machen, wenn ich Saphir traf, sonst würde sie irgendwann merken, dass ich zu verrückt war, als das sie weiter mit mir hätte befreundet bleiben können. Und verlieren wollte ich sie nicht, da sie nicht nur meine einzige Freundin war, sondern ein wundervoller Mensch, der mich nur dadurch zum Lächeln brachte, dass sie „Hi“ sagte.
Uuuund da war es schon wieder. Herz mach Sitz, du bist nicht hier um zu spinnen, du bist hier um Pokemon zu fangen. Und zwar hoffentlich eine ganze Horde an Karpador. Mama braucht nämlich ein Garados.
Es bestand nämlich die klitzekleine Wahrscheinlichkeit, dass ich einen unbedeutenden Crush hatte, der sicher verschwinden würde, wenn ich mir nur lange genug einredete, dass Saphir zu 100% hetero war und sich sowieso nie auf so jemand wie mich einlassen würde. Für gewöhnlich half das nach einiger Zeit. Hieß nicht, dass es nicht trotzdem weh tat.
In Gedanken versunken merkte ich nicht, wie sich jemand an mich heran schlich, um mir dann sacht auf die Schulter zu klopfen. Erschrocken fuhr ich auf, bevor mir ein warmes Lachen verriet, wer sich hinter mir befand: Saphir. Und wenn mein Herz mal wieder total freudig hüpfte, als sie mich umarmte, dann ging das niemand außer mich was an.
„Na, bist du bereit ein Pikachu zu fangen“, lächelte sie. „Ich bin schon froh, wenn ich mal was anderes außer Taubsi zu fassen bekomme“, meinte ich nur, während wir los gingen um uns einen Platz aus zu suchen. Im Prinzip konnten wir sitzen wo wir wollten, entschieden uns dann aber dafür, am Fenster zu sitzen, da wir so die Pokemon von draußen besser fangen könnten. Wir wussten beide, dass das Schrott war, fanden es aber trotzdem lustig.
„Weißt du schon was du willst?“
„Die Campus App meinte es gibt Zucchini Ravioli, also jap. Mein Essen steht. Und bei dir?“
Ich überlegte kurz, bevor ich mich auch für Zucchini Ravioli entschied. „Da fällt mir ein, denkst du, hier gibt es auch schon Pokemon?“, fragte sie plötzlich. „Hmm, gut möglich, warte ich sehe nach“. Gesagt, getan, holte ich mein Handy heraus, loggte mich ins Uni WLAN und klickte auf Pokemon Go, dass mir verkündete, dass sich 3 Ratzfratz in meiner Nähe befinden sollten. „Wieso verwundert mich das jetzt nicht“, murmelte Saphir, bevor ich aufsah und kicherte.
Als wir bei unserem Platz angekommen waren, zeigte mir Pokemon Go an, dass sich jetzt auch noch irgendwo ein Taubsi befinden sollte. „Na toll, ich wusste wir hätten das Fenster schließen sollen. Bestimmt hat unser Essen es angelockt“, meinte Saphir ernst. „Nicht, dass es noch die Ratzfratz verscheucht“, warf ich nachdenklich ein. „Wenn wir Glück haben, entwickelt es ich beim Kampf gegen die Ratzfratz ja weiter?“ „Na, die sind bestimmt nur WP 10“. Hatte ich schon erwähnt, wie sehr ich diese Gespräche genoss? Wir mussten gar nicht über irgendwas ernstes Reden, nicht über den 3. Weltkrieg, nicht über die Weltherrschaft der Aliens oder nicht über die Tatsache, dass es immer noch Leute gab, die dachten Zelda sei der Junge. Es genügte, wenn wir einfach wir waren, den Moment genossen, herum blödelten. In solchen Momenten, wünschte ich, der Tag hätte 1000 Stunden, die mir natürlich immer noch nicht genug waren, nur damit ich Hunderte davon mit ihr verbringen konnte. Ob sie diese allerdings auch mit mir teilen wollen würde, stand in den Sternen. Ich bezweifelte es, was wohl auch der Grund war, der mich dazu trieb, damit aufzuhören sie zu lange an zu sehen. Stattdessen nahm ich mir einen großen Löffel der Ravioli, während ich mein Handy nicht aus den Augen lies. Naja, sagen wir eher, dass war der Plan. „Verdammt, wieso ist das so scharf“, jauchzte ich beinahe auf, als ich den zweiten Löffel gegessen hatte.
„Ist die Soße, da ist Pepperoni drin“
„Wie kannst du die nur essen?“
„So schlimm?“, fragte sie, bevor sie kurzerhand aufstand und mir deutete zu warten. Ich beschloss die Ravioli ganz schnell zu essen, und mir dann noch ein Dessert dazu zu kaufen um den Geschmack los zu werden.
„Hier“, ertönte es hinter mir, bevor mir jemand eine kühle Limo entgegen hielt „Aber, du hättest doch nicht ….“, setzte ich an „Nimm die Limo, die hilft zwar nicht viel, aber immerhin etwas“. „Danke“, lächelte ich, bevor ich das Getränk öffnete.
„Gibt es nicht auch in Pokemon irgendeinen Trank der Limonade heißt?“
„Willst du also damit sagen, ich bin ein Pokemon?“, fragte ich lächelnd.
„Wenn mich dass dann zu deinem Trainer macht?“
„Ich will ein Nachtara sein“, entschied ich.
„Aww du magst mich.“
„Wie?!“ Ich zuckte auf und blinzelte, während mein Herz mal wieder Dinge tat, die ich ihm eigentlich verboten hatte. Ich hatte mich nicht verraten oder? Ich meine, ich konnte nicht, wie sollte sie ….
„So entwickelst du dich doch weiter, du Pokemon-Champ“, lachte sie. Gott ich war echt hoffnungslos, ich musste dringend einen Gang herunter fahren. Vielleicht sogar zwei.
„So, was jetzt?“ Wir sahen beide auf unsere Handys, während wir vorsichtig aus der Mensa zum nächsten Pokestop liefen, der – praktischerweise – eine Statue direkt davor war. Ich fand zwar, dass wir auf dem Gelände wahrlich hübschere Statuen hatten, aber wer war ich schon zu entscheiden, was würdig genug war ein Pokestop zu sein.
„Also, da hinten ist eine Arena von Team Rot“, murmelte ich, während ich immer noch versuchte heraus zu finden, in welcher Richtung sich das Taubsi befand, das mir seit 10 Minuten angezeigt wurde. „Ist nicht dein Team, oder?“ Ich sah kurz hoch, bevor sie mich ernst ansah. Stimmt, sie hatte mir ja immer noch nicht ihr Team mitgeteilt.
„Bin ich Donald Trumps Tochter?“, antwortete ich schließlich, was sie mich verwirrt ansehen ließ. „Nein?“, meinte sie zögernd, was mich zum Lachen brachte.
„Heil dem Eisvogel“.
„Willkommen im Club. Heil dem Eisvogel“, schrie sie.
Damit machten wir uns auf, der roten Arena den Hintern zu versohlen, was natürlich vollkommen in die Hose ging.
„Ähm Opal, ich hab mal eine Frage“.
„Ja?“
„Wie kämpft man?“
„Ähm … keine Ahnung?“
Verwirrt starrten wir auf unsere Handys, bevor wir nach fünf Minuten heraus fanden, wie wir überhaupt ein Pokemon für den Kampf wählen konnten. Mein Bestes war ein Tauboss mit WP 503. Das Aquana meines Gegners hatte 1123 WP. Es ist wohl nicht schwer zu erraten, wie es ausging. „WAS MUSS ICH TUN, WAS MUSS ICH TUN“, brüllte ich.
„DRÜCK, DU MUSST DRÜCKEN“.
„MACH ICH SCHON“.
„DRÜCK BESSER!“
Dann fingen wir beide an wie verrückt auf mein Handy ein zu schlagen, bevor der Kampf – 3 Sekunden später – vorbei war.
„Ich glaube, so war das falsch.“
„Ja, irgendwie schon.“
Ich glaube ich habe kaum härter gelacht, als in diesem Moment. Die Tatsache, dass uns alle Leute komisch ansahen, und das ich mich wohl gerade mehr als blamiert hatte, ignorierte ich einfach. Es war nicht wichtig. Das einzige, was im Moment zählte, war das unbeschwerte Gefühl, dass mich durchströmte.
Am Ende des Tages hatten wir genau zwei Taubsi, ein Hornliu und ein Raupy gefangen. Sprich genau die Pokemon, die wir auch in unseren Zimmern hätten fangen können. Jedoch interessierte es keinen von uns so wirklich.
„Ich denke du musst langsam los, sonst verpasst du deinen Zug.“
„Ja, denke ich auch. Danke übrigens noch mal, für heute Opal, war echt toll.“
„Nichts zu danken. Ich danke dir, dass du mit mir Pokemon fangen gegangen bist.“
„Naja, so viel, haben wir ja nicht erreicht.“
„Nimm mir einfach ein paar aus Australien mit.“
„Wenn du mir ein paar aus Kroatien mitbringst.“
„Sicher“, sagte ich, bevor sie mich in eine Umarmung zum Abschied zog.
„Ich schreibe dir, wenn ich zu Hause bin.“
„Mal sehen wer zuerst zu Hause ankommt.“
Als ihre Straßenbahn nicht mehr zu sehen war holte ich mein Handy heraus und schrieb ihr.
„Next year we'r gonna catch them all :3“
Kurz darauf hatte ich ihre Antwort, die mich die ganze Rückfahrt zum Lächeln brachte.
„Hab dich auch lieb“
Mein guter Freund Nils ist eigentlich ein total unabhängiger und selbstständiger Mensch. Jedoch hat er sich wie so viele andere freiwillig in die Fänge der wohl teuflischsten Erfindung zur Versklavung der Menschheit begeben, seit irgendein Zauberwesen namens Willy Brandt 1967 das Fernsehen eingefärbt hat. Die Rede ist natürlich von der Pokémon-GO-App, dem verwerflichen Vampir, welcher sich an Zeit und Strom labt und dessen Existenz mit dem fadenscheinigen Grund des Zusammenbringens der Menschen sowie der Motivation zur körperlichen Ertüchtigung gerechtfertigt wird – was mein Freund Nils auch nicht müde wird zu betonen.
„Warte mal kurz…“, sagte Nils.
„Müssen wir schon wieder die Richtung ändern?“, fragte ich.
„Nein, ich habe es eingegrenzt. Wir müssen nach rechts.“
Ich sah nach rechts und blickte auf eine Wand. In der Wand befand sich eine schöne Tür, neben der mehrere Klingelschilder hingen. Die Wand und die Tür gehörten offenkundig zu einem Haus mit vielen kleinen Wohnungen.
„Da steht aber ein Haus“, erwiderte ich also.
„Macht nichts“, erwiderte Nils. „Ich gehe da einfach rein. Vielleicht finde ich da drin schon das Glumanda. Du wartest einfach kurz hier.“
Nils drückte eine der Klingeln. Die Tür öffnete sich mit einem Summen und er trat ein.
Ich blieb draußen und wartete.
Nach zwei Stunden dachte ich, dass es eventuell angebracht wäre, nachzusehen, wo Nils bleibt, um ihm dann gegebenenfalls freundlich zu erklären, dass wahrscheinlich gerade die zweite Hälfte des Films begann, den wir uns eigentlich im Kino hatten ansehen wollen. Im Haus fand ich einige Bewohner vor, die mir folgende Geschehnisse schilderten: Anscheinend hatte Nils die hintere Häuserwand durchbrochen und war durch den Garten hinter dem Haus verschwunden, wobei er ein paar preisgekrönte Petunien zertrampelt hatte und einer Katze auf den Schwanz getreten war, bevor er ein Stück aus dem Gartenzaun riss und auf die dahinterliegende Straße entkam. Mit einem höflichen Fingerknacken wiesen mich zwei männliche Bewohner des Hauses, bei denen ich mich irgendwie an zwei Phantombilder erinnert fühlte, die vor zwei Jahren mal in der Zeitung abgedruckt gewesen waren, darauf hin, dass es mir als einem Freund von Nils doch sicher am Herzen läge, für die von ihm angerichteten Schäden aufzukommen. Da ich einsah, dass die Chance, dass ich mein Geld von Nils wiederbekommen würde, größer war als die Chance dieser beiden überaus höflichen Herren, musste ich wohl oder übel nachgeben. Nachdem man mich zehn Minuten an den Fußgelenken gehalten und geschüttelt hatte, befand man, dass ich wohl mein Möglichstes gegeben hatte und ließ mich – wenn auch nur widerwillig – gehen, nachdem ich die für weniger wertvoll befundenen Habseligkeiten wieder eingesteckt hatte, darunter sogar Nils‘ Powerbank, die ich für ihn aufbewahrt hatte – von den Dingern hatten die Leute schon etwa sieben.
Wieder auf der Straße fand ich mich in der peinlichen Situation, weder Geld für ein Busticket noch ein Taxi zu haben, weshalb ich wohl oder übel zu Fuß den Heimweg antreten musste.
Nach wenigen Minuten war mir, als würde die Erde leicht beben. Ich hielt kurz inne, denn Erdbeben waren mir in unserer wunderschönen Millionenstadt noch nicht untergekommen. Im nächsten Moment rannte mich etwas nieder, das mir wie eine Büffelherde vorkam, aber in Wirklichkeit eine Horde aus Menschen aller Altersklassen mit Smartphones war, die laut „Glurak! Glurak! Glurak!“ skandierten. Die Wirkung blieb jedoch die gleiche und nur mühsam gelang es mir, mich wiederaufzurichten, nachdem die Meute über mich hinweggetrampelt war. Für meine Brille kam freilich jede Hilfe zu spät und so nahm ich alles wie durch einen verschwommenen Schleier war. Als ich an eine Straßenecke kam, war ich mir nicht sicher, ob ich hier schon abbiegen musste. Für den Nachhauseweg musste ich durch die Schillerstraße, aber das Straßenschild war für mich nicht zu erkennen. Ich fragte eine verschwommene Gestalt, ob sie mir nicht das Straßenschild vorlesen könnte, erhielt aber keine Antwort. Allerdings deuteten ein paar weiter entfernte Stimmen an, dass ich mich wohl mit einem Laternenpfahl unterhielt.
In dem Moment fiel mir ein, dass ich ja meine alte Brille in einem Etui dabeihatte, da ich noch nicht vollständig an meine neue gewöhnt war. Erfreut stellte ich fest, dass sie die Stampede von vorhin unbeschadet überstanden hatte und setzte sie auf. Sie war zwar nicht mehr ganz passend, aber dennoch besser als gar keine. Das Straßenschild sagte mir jedenfalls, dass ich mich nicht nur nicht in der richtigen Straße befand, sondern gänzlich verlaufen hatte. Ich zog daher im Gehen mein Handy hervor, um eine Kartenapp zu nutzen. Dabei stieß ich mit einer grauhaarigen Frau zusammen.
„Diese verdammten Pokémonspieler!“, empörte sie sich und ging weiter, bevor ich mich entschuldigen und ihr die Situation erklären konnte.
Nachdem ich den kürzesten Weg nach Hause auf der Karte gesucht hatte, bog ich um eine weitere Straßenecke und gelangte auf einen großen Platz, in dessen Mitte ein Brunnen stand. Hässliche steinerne Fratzen spuckten eifriger Wasser in das Brunnenbecken als ein Schiggy mit Aquaknarre. Um den Brunnen herum standen ziemlich viele Leute, wobei vom präpubertären Gör über den Studenten mit zu viel Freizeit bis hin zur im Rollstuhl sitzenden Oma so gut wie alle Altersklassen vertreten waren. Jede einzelne Person starrte auf ihr Smartphone und tippte wie besessen darauf herum, abgesehen von einem einzelnen etwas abseits stehenden Mädchen, welches sich meiner Ansicht nach einerseits auffällig unauffällig verhielt, aber andererseits mit äußerster Berechnung abwechselnd die Menschenmenge und ihr eigenes Smartphone betrachtete, sodass ich nicht anders konnte als es anzusprechen.
„Entschuldigung“, begann ich zögerlich, „aber was genau ist hier los?“
Das Mädchen lächelte freundlich und erwiderte lässig: „Nichts Besonderes. Die Leute gehören entweder alle zu Team Wagemut oder zu Team Weisheit. Das heißt… Du kennst das Spiel, oder?“
„Ja“, sagte ich, „aber ich spiele es selbst nicht.“
In Anbetracht der Tatsache, dass dieses Eingeständnis in den letzten Tagen bei verschiedensten Leuten stets Reaktionen hervorgerufen hatte, die zwischen dem Extrem der milden, aber dennoch schockierten Überraschung und der aufrichtigen Besorgnis um meine Geistesgesundheit schwankten, war ich angenehm überrascht, dass das Mädchen nicht weiter darauf einging und stattdessen fortfuhr: „Jedenfalls, die kämpfen hier gerade alle um eine Arena. Im Moment wird sie von Team Weisheit kontrolliert, siehst du?“
Sie zeigte mir ihr Handy, auf dessen Bildschirm ich den blau eingefärbten stadionartigen Aufbau erkennen konnte. Blitze, Flammen und Wirbelwinde zuckten um ein Aquana herum. Plötzlich färbte sich die Arena silbergrau – ganz offensichtlich hatte das andere Team es geschafft, sie zu „befreien“.
Doch im Bruchteil einer Sekunde wurde sie wieder blau. Ein wütender Aufschrei ging durch die eine Hälfte der Menge.
„Wir haben die Arena auf faire Art geleert!“, rief die kindliche Piepsstimme eines kleinen Jungen. „Da könnt ihr sie nicht einfach wieder so stehlen!“
„Habt ihr doch gerade auch gemacht!“, gab ein Mann im Anzug zurück.
„Genau!“, stimmte ein blondes Mädchen zu und trat dem Jungen vor das Schienbein, welcher vor Schmerz wütend aufschrie und dem Mädchen zur Vergeltung an den Haaren zog. Die Folge war, dass ihn ein älterer Teenager anblaffte: „Lass meine Schwester in Ruhe!“ und ihm zur Bekräftigung seines Wunsches eine Kopfnuss verpasste, was jedoch die mutmaßliche Mutter des Jungen dazu veranlasste, dem Teenager eine so heftige Ohrfeige zu verpassen, dass er in eine Gruppe Gleichaltriger taumelte, während er in einer Kurzschlussreaktion wild um sich schlug. Wenige Sekunden später war eine größere Massenkeilerei im Gange als im fliegenden Klassenzimmer. Smartphones flogen wie Geschosse durch die Luft, ein Aktenkoffer landete vor meinen Füßen und ich sah, wie zwei ältere Herren einen überraschend spektakulären Fechtkampf mit ihren Gehstöcken austrugen. Das Mädchen neben mir kicherte.
„Wurde auch Zeit.“
Sie tippte auf ihrem Smartphone die Arena an, leerte sie und setzte anschließend ein Pokémon hinein. Unmittelbar darauf färbte sich die Arena gelb.
„Die werde ich nicht lange halten können“, meinte sie. „Wir Intuitionisten sind einfach zahlenmäßig unterlegen. Aber zumindest kann ich mir ja direkt den Verteidigerbonus abholen.“
Nachdem sie genau das getan hatte, steckte sie ihr Handy weg.
„Der Akku ist fast alle“, erklärte sie zusätzlich.
Ich zog Nils‘ Powerbank aus der Tasche und reichte sie ihr zusammen mit dem Ladekabel. Sie blickte mich überrascht an.
„Gehört einem Freund“, erklärte ich.
„Danke“, sagte sie lächelnd und nahm das Gerät entgegen.
„Ähm…“, sagte ich vorsichtig, „Darf ich vielleicht fragen, wie du heißt?“
Sie zog die Augenbrauen hoch, wirkte aber glücklicherweise eher angenehm überrascht.
„… und dann waren wir noch im Kino“, sage ich zu Nils.
„Aha“, nickt er. „Scheiß Bluzuk! Seit dem Update kann man nichts mehr fangen!“
„Hast du mir zugehört?“, frage ich.
„Ja. Sie ist Intuitionistin, also keine Gefahr für mich.“
„Das wollte ich damit nicht…“
„BLEIBST DU JETZT AUCH EINMAL DRIN, DU VERFICKTES MISTVIEH?!“
Ich seufze. Das Traurige ist, dass uns die Leute nach so einem Aufschrei nicht einmal mehr anstarren.
„Jedenfalls zeigt das, dass ich recht hatte“, meint Nils.
„Womit?“
„Dass das Spiel Menschen zusammenbringt. Schließlich hättet ihr euch ohne es wohl nie kennen gelernt.“
„…“
Ich hasse es, wenn er recht hat.