Wann auch immer eine Celebrity in Kritik steht - sei es für irgendwelche getätigten Aussagen oder für bekannt gewordene Taten aus der Vergangenheit (wie bspw. sexuelle Übergriffigkeit) - fliegt in gewissen Kreisen, also vor allem Fox News und Co. ein Begriff durch die Gegend: Cancel Culture. Aber was hat es mit dem Begriff überhaupt auf sich?
Während es den Begriff "Cancelling" in Bezug auf das Zurückziehen von Unterstützung von Celebrities oder Organisationen bereits auf die 1980er zurückgeht, so ist der Begriff "Cancel Culture" eine neue Erscheinung. Der Begriff hat sich aus dem vorherigen Begriff "Call-out Culture" entwickelt.
Das Phänomen geht auf #MeToo zurück. Spezifisch die Entwicklung der #MeToo Bewegung in den 2010ern. In diesem Zusammenhang wurde von einer "Call-out Culture" gesprochen. In diesem Zusammenhang wurde natürlich auch Frauen vorgehalten, dass sie die #MeToo Bewegung ausnutzen würden. Als dann auch erste BI_POC Künstler*innen sich gegen Rassismus in der Medienindustrie ausgesprochen wurde, kam der Begriff "Cancel Culture" in Bezug auf diese Bewegung auf. Richtig verbreitet wurde der Begriff allerdings erst in 2019. Zu diesem Zeitpunkt haben vor allem konservative Politiker, wie unter anderem Donald Trump, begonnen den Begriff zu verwenden, um sich an Kritik an etwaigem rassistischen, sexistischen, queerfeindlichen oder ableistischen Verhalten zu wehren.
Von 2019 an, wurde der Begriff vor allem in konservativen und rechten Kreisen vermehrt gebraucht, unabhängig vom Kontext. Jedes Mal, wenn auf den sozialen Medien, in traditionellen Medien oder in Reden Celebrities für ihr Verhalten kritisiert wurden, stand der Vorwurf der "Cancel Culture" und damit einhergehend der "Zensur" schnell im Raum. Dies führte dazu, dass speziell während der Pandemie vermehrt auch in zentristischen Kreisen der Begriff aufgegriffen wurde.
Es ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass der Begriff beinahe ausschließlich genutzt wird, um Kritik auf Basis genannter *ismen zu beschreiben - nicht jedoch im Kontext, wenn aus rechten oder konservativen Ecken Kritik an aus ihrer Sicht "unmoralischem" Verhalten kommt. So wird der Begriff "Cancel Culture" verwendet, wenn es um Kritik an Dave Chapelle oder J.K. Rowling geht, nicht aber, wenn es darum geht, dass rechte Kreise versuchen "Lightyear" für die Inklusion eines queeren Paars aus den Kinos zu bekommen oder MONTERO von Lil Nas X für die queeren Inhalte zu verbieten.
Anzumerken sei an dieser Stelle auch, dass in einigen Fällen "Cancel Culture" auch im akademischen Rahmen genutzt wurde, wenn Vorträge von Forscher*innen oder Politiker*innen an Universitäten untersagt wurden.
Es gibt einige Stimmen in den Medien, wie bspw. die von Sunny Hostin und Levar Burton, die vorschlagen, das Konzept in "Consequence Culture" umzubenennen. Denn letzten Endes geht es bei etwaigen Callouts darum, dass Calebrities nicht durch ihren Status (und in vielen Fällen auch gesellschaftliches Privileg) vor Konsequenzen geschützt werden sollen. Sprich: *istisches Verhalten oder Übergriffigkeit (sei diese sexuell, psychisch oder physisch) sollten Konsequenzen mit sich bringen.
Aus wissenschaftlicher Sicht sei gesagt, dass es "Cancel Culture" nicht wirklich gibt. Weder im Zusammenhang von #MeToo, noch im Zusammenhang mit anderen *ismen. Tatsächlich haben nur sehr wenige Celebrities, auf deren *istisches Verhalten Online aufmerksam gemacht wurde, dadurch ernsthafte Konsequenzen zu spüren bekommen. Weder rechtlich, noch in Bezug auf ihre Karrieren. Selbst in Fällen, in denen Call-Outs funktioniert haben und die etwaigen Celebrities einen Vertrag oder ähnliches verloren haben, gab es meist immer ein andere Studio oder Label, das sie aufgegriffen haben. Tatsächliche Konsequenzen wie im Fall von Weinstein oder Kevin Spacy sind selten.
Etwas anders sieht es aus in Bezug auf "normale Leute". Es gibt einen Spruch, der es hier sehr gut trifft: "Twitter ist ein Spiel, bei dem es jeden Tag einen anderen Hauptcharakter gibt. Ziel des Spiel ist es, nicht dieser zu sein." Das beschreibt es in meinen Augen sehr gut. Denn ja, im privaten Bereich hat Call-Out Culture eher Konsequenzen. Hier kann es sein, dass ein dummer Tweet tatsächlich ernsthafte Folgen hat. Denn während Celebrities durch ihren Status als solche vor Konsequenzen häufig geschützt sind, so gilt dies nicht für die privaten Personen, deren dummer oder *istischer Tweet explodiert. Und hier kann es Leben zerstören und soweit gehen, dass Leute zum Umzug oder anderen Extremen Maßnahmen gezwungen werden. Denn anders als Celebrities, die Body Guards haben, können Privatpersonen nie sicher sein, was passiert, wenn jemand ihre Adresse findet. Und während natürlich *istische Aussagen kritisiert gehören - online Mobbing, teilweise mit Morddrohungen und mehr - sollte nicht die Antwort sein.
Diskussionsansätze:
- Glaubt ihr, dass es Cancel Culture überhaupt gibt?
- Haltet ihr es für wichtig, dass Celebrities Konsequenzen für ihr Verhalten zu spüren bekommen?
- Wie denkt ihr darüber, wenn Vorträge aufgrund von Gegenwind abgesagt werden?
- Wie sollte man Otto-Normal-Twitteruser vor dem wütenden Mob (der durch ernsthafte anliegen, aber auch Kleinigkeiten) schützen?