CN Suizid
Ich habe seit gestern eine Sache verfolgt, die mich ehrlich gesagt ziemlich mitgenommen hat, einfach weil alles daran so widerlich ist. Folgendes: Vor Kurzem hat Julian Reichelt (ehemals BILD, ihr wisst Bescheid) eine Kampagne gegen die stellvertretende Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung Alexandra Föderl-Schmid gestartet. Konkret hatte er ihr Plagiate in journalistischer Arbeit vorgeworfen. Die Vorwürfe sind, soweit ich gehört habe, eigentlich gar nicht so gravierend, wenn sie mal nüchtern betrachtet werden - mehr Dinge, die vielleicht "ärgerlich" sind, aber wohl kaum, wie die rechtspopulistische bis rechtsextreme Presse draus macht, eine tiefgreifende Verletzung der elementarsten journalistischen Werte. Mit diesen Vorwürfen aber nicht genug: Auch die Doktorarbeit Föderl-Schmids wurde unter die Lupe genommen, nämlich vom selbsternannten Plagiatsjäger Stefan Weber, der wiederum von Reichelt angeheuert worden war. Weber ist allgemein eine illustre Figur, bezüglich derer nicht erst seit gestern der Vorwurf im Raum steht, sich für Medienkampagnen einspannen zu lassen, sich zum Richter aufzuschwingen und bei der kritischen Suche nach Plagiatsvorwürfen Sorgfalt vermissen zu lassen - während er selbst ständig betont, er tue das alles aus wissenschaftlicher Integrität heraus. Die Kritik an Weber geht in die Richtung, dass er oft Kleinigkeiten zu Skandalen aufbläst. Tatsächlich ist mir mindestens ein Fall bekannt, wo sich seine Vorwürfe am Ende als komplett falsch herausgestellt hatten: Weber war selbst auf eine fingierte Quelle hereingefallen und hatte sich in persönliche Rachepläne verstricken lassen. Im Falle Föderl-Schmids wiederum standen die Vorwürfe und wie sie in den rechten Medien aufgeblasen wurden, offenbar ebenfalls in keinem Verhältnis zu dem, was angeblich Anlass dazu gab. Brisant außerdem: Weber selbst hat hier einen Interessenskonflikt nicht nur deswegen, weil er für das Finden von Irgendwas bezahlt worden ist, sondern auch, weil er selbst mal Streit mit Föderl-Schmids Dissertationsgutachter gehabt hatte.
Warum erzähle ich das alles? Nun, wie gesagt, gegen Föderl-Schmid wurde eine regelrechte Kampagne gefahren, infolge derer sie auch von ihrer Arbeit bei der SZ freigestellt wurde. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, was das mit einem Menschen macht, aber tatsächlich und leider muss ich es auch gar nicht: Seit dem gestrigen Morgen galt Föderl-Schmid als vermisst. Bei der Polizei gingen Berichte ein, dass eine Frau im Grenzfluss Inn gesichtet worden war. Nahe des Flusses war Föderl-Schmids Auto gefunden worden, mit einem Abschiedsbrief, und im Wasser sowie am Ufer stieß die Polizei auf Gegenstände, die sich ihr zuordnen ließen.
Nun gibt es doch noch eine gute Nachricht: Föderl-Schmid ist lebend gefunden worden. Sie war stark unterkühlt und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Aber das alles ändert nichts daran, dass die verantwortlichen Leute - allen voran Reichelt und Weber, aber auch alle, die deren Darstellungen ohne kritische Prüfung übernommen haben - beinahe eine Frau in den Selbstmord getrieben haben, und dass sie überlebt hat (und offenbar nicht in akuter Lebensgefahr schwebt), war anscheinend nicht mehr als reiner Zufall.
Als Föderl-Schmid von ihrer Arbeit freigestellt wurde, hatten Reichelt und Weber jubiliert. Tatsächlich hatte Weber wohl selbst einen (nicht eindeutig den Suizid ankündigenden) Abschiedsbrief von Föderl-Schmid erhalten und sich auf Twitter darüber lustig gemacht. Mittlerweile hat er das gelöscht, also scheint noch ein bisschen Restanstand da zu sein, nur traurig, dass es erst einen Suizidversuch braucht, um den hervorzuholen.
Wird das Ganze zur Selbstkritik bei Weber und Reichelt führen? Ich habe meine Zweifel. Aber darum geht es ohnehin nicht, denn der Vorfall sollte davon ab einfach als ein wirklich erschreckendes Beispiel dafür dienen, wie rechte Medienkampagnen wirklich über Leichen gehen und Menschen zerstören wollen.