Die angelehnte Kabinentür öffnete sich mit einem leisen Knarren. Jasmin keuchte auf und rollte sich noch ein wenig mehr zusammen, den Kopf auf die Knie gepresst, panisch vor- und zurückwippend. Wieso musste man sie gerade jetzt finden? Sie schluckte schwer und versuchte mit aller Macht, ihre Hysterie zu verbergen, doch die Tränen wollten und wollten nicht stoppen.
Das Wasser hörte plötzlich auf zu fließen, stattdessen legte sich nicht weniger kalte Luft auf ihre durchnässte Kleidung, die das Zittern nur noch verstärkte. Sie riss die Augen auf. Wie sollte jetzt das Blut abfließen? Sicherlich hatte sich schon eine Schicht auf dem Boden gebildet. Sie keuchte und begann, noch schneller zu wippen.
Fremde Hände warfen ihr ein Handtuch über die Schultern und begannen, sie damit trocken zu rubbeln. Die Bewegung hatte etwas Fürsorgliches und das Tuch spendete himmlische Wärme, doch ihre Muskeln blieben weiterhin bis zum Zerreißen angespannt.
Eine nicht ganz so fremde Stimme redete auf sie ein, wurde immer lauter, bis sie sich zu einem Schrei formte. Mit einem Ruck riss Jasmin den Kopf nach oben, die Augen weiterhin weit aufgerissen, und starrte ihre Zimmergenossin an. Sie wirkte beinahe... besorgt.
Ihre Gedanken schienen einfach zu stoppen, während ihre Tränen immer noch ungehindert flossen, doch mittlerweile stumm. Sie versuchte, etwas zu sagen, sich zu bedanken, doch aus ihrer Kehle kam nichts als ein undefinierbares, heiseres Krächzen. Erst nach drei Versuchen bekam sie ein Flüstern heraus, doch es waren völlig andere Worte als die, die sie geplant hatte. "So... viele Tote... wegen uns... mir..."
Sie musste husten, und ihr ganzer Körper schüttelte sich davon. Erst jetzt bemerkte Jasmin, dass Marika unbekleidet war. Sie zuckte zusammen und starrte unverzüglich die Wand an, während ihr Gesicht flammend rot wurde. Scham. Das war eine unkomplizierte Emotion, leicht zu erklären, leichter zu ertragen und für den Moment mehr als willkommen. Sie ballte die Hände zu Fäusten.
Was redete das Mädchen denn da bloß? Dann seufze sie leise.
„Dummkopf! Wir haben mit der ganzen Sache doch nichts zu tun gehabt. Diese Missgeburt von einem Krouchug war einzig und allein hinter Jimmy Colmann her. Woher hätte es denn von uns wissen sollen, oder wie hätte ein völlig berauschtes Etwas planen können, dass wir dort auftauchen würden?“, versuchte sie die Zimmergenossin zu überzeugen und fuhr sich mit einer Hand durch den borstigen Hahnenkamm, „Im Gegenteil, hätten wir nicht eingegriffen, währen noch viel Mehr Menschen verletzt oder getötet worden.“
Da das erste Handtuch nun ebenfalls durchnässt war, warf die Streunerin es einfach über die Schulter und legte Jasmin das nächste um die Schultern.
Nun konnte Jasmin nicht anders, als Marika wieder anzustarren. Wer zum Teufel war Jimmy Colmann? Was war das überhaupt für ein Name? Fast hätte sie gefragt, holte schon Luft, doch sie wollte Blondie nicht unterbrechen und genau so wenig bescheuert dastehen. Außerdem ging es ihr schon ein klein wenig besser. Auch wenn das Zittern, das einen ganz anderen Grund als die Kälte hatte, nicht aufhören wollte, entkrampften sich zumindest ihre Fäuste und ihr Atem ging ein bisschen weniger hektisch. Das Handtuch tat ihr ziemlich gut. "Danke..." flüsterte sie, den Blick wieder auf ihre Knie gerichtet.
Trotzdem glaubte sie ihr kein Wort. Die Schranken in ihrem Kopf waren nicht so leicht zu beseitigen. "Ha-habe noch nie einen Horrorfilm gesehen..." Fast beschämt senkte sie den Kopf noch weiter. Wie musste das auf Marika wirken, die abgehärtete Kämpfernatur? Doch sie war noch nicht anwesend genug, um ernsthaft darüber nachzudenken. Ein weiteres Zittern durchfuhr sie und sie nieste, zu ihrer eigenen Überraschung.
Der verständnislose Blick den das Mädchen ihr zuwarf sagte Marika, dass sie das Gespräch mit dem Sänger nicht mitbekommen hatte. Dann bedankte sich Jasmin überraschend bei der Streunerin, etwas, womit diese nicht gerechnet hatte und einen Moment fehlten auch Marika die Worte. Das legte sich aber schnell wieder als ihre Zimmergenossin nießen musste.
„Oha. Du solltest schnell aus dem nassen Zeug raus, oder liegst die nächste Zeit mit Fieber und laufender Nase im Bett.“, merkte Marika an und hob eine Augenbraue, „Ich habe auch noch nie einen Horrorfilm gesehen, geschweige denn irgendeinen Film, wenn man einzelne Bruchstücke der Streifen nicht dazuzählt. Schätze aber mein Leben ist genug Horror, nicht, dass ich das jemandem wünschen würde. Und Colmann musst du nicht kennen. So nen ehemaliger Sänger ner Boyband, Profikiller und stand ehemals im Auftrag der Bestien, ist jetzt allerdings laut eigener Aussage nen Monsterjäger und wir haben ihn in diesem Kabuff den Arsch gerettet. Er wurde von diesem Krouchug umgenietet und ist durch unser Eingreifen der einzige Überlebende.“
Ohne zu fragen und ohne das Handtuch loszulassen, erklärte Marika ihr doch, wer dieser Jimmy irgendwas war, doch sie konnte kaum zuhören, auch wenn sie sich bemühte, ihre Gedanken nicht abdriften zu lassen. Was sich als unmöglich herausstellte.
"Einziger... Überlebender..."
Gewaltsam drängte sich das Bild des zweigeteilten, noch ganz leicht zuckenden Mannes wieder vor ihr inneres Auge und das Zittern wurde erneut zu einem Beben. Wie viele Tote waren es? Zwanzig, dreißig, fünfzig? Und wie lange hatten sie Todesqualen erlitten?
Ein unbändiger Hass gegen den unbekannten Jimmy Colmann vermischte sich mit der Hysterie, der Angst, den Schuldgefühlen, die Rührung wegen Marikas Fürsorge. Letztere gewann schließlich die Oberhand über das bibbernde Wrack, das einmal sie selbst gewesen war. "Das ist wirklich so nett von dir" murmelte sie. "Ähm." Wie drückte man Dankbarkeit aus? Sie konnte Marika ja wohl kaum umarmen oder so etwas. Wieder flammte ihr Gesicht auf. Wahrscheinlich wäre sie noch Stunden unansprechbar unter der Dusche gewesen, hätte Blondie sich nicht um sie gekümmert. "Ehrlich, äh, danke" Sie wiederholte sich. Wahrscheinlich war Marika dieses emotionale Gehabe mehr als nur unangenehm, trotzdem tat sie ihr Bestes, um eine halbe Sekunde Blickkontakt zu halten, bevor sie sich blitzartig wieder abwandte.
„Ja“, bestätigte Marika, „Immerhin hat einer das überlebt und ohne seine Deathblades, die Perlmuttmesser, von denen du auch eines benutzt hast, hätten wir diesen Menschenfresser nicht so leicht auseinander nehmen können. Ich hoffe echt, dieser Volltrottel macht jetzt wenigstens seinen Job vernünftig und verwischt seine Spuren. Zwei von diesen genetischen Abfallprodukten reichen mir für die nächsten Monate.“
Jasmin schien sich aber schon etwas eingefangen zu haben, denn sie faselte etwas von wegen, es wäre nett von der Streunerin, was diese mit einem betont genervten „Hä??“ kommentierte. Trotzdem konnte sie nicht vermeiden, dass sich eine ganz leichte Röte auf ihre Wangen stahl. Jasmin und die anderen sollten am Besten gar nicht erst anfangen sie nett zu finden, denn damit wäre niemandem geholfen. Sie selbst würde diesen Kindern beibringen, wie sie sich verteidigen und überleben konnten, wenn sie noch einmal einem Krouchug oder gar einem Dwouchsé begegnen würden, aber danach würde sie aus dem Leben dieser Kids verschwinden. Und mit ziemlicher Sicherheit würden sich ihre Wege nie wieder kreuzen. Es wäre einfach für beide Seiten zu gefährlich, auch wenn die Streunerin die Nähe der anderen Lichtkrieger nicht unangenehm empfand.
„Willst du nicht endlich das Zeug ausziehen?“, lenkte sie also direkt von der Aussage ihrer Zimmerkameradin ab, bemühte sich aber trotzdem, nicht direkt wieder auf Abwehrhaltung zu gehen. Zu harsch durfte sie bei diesem Mädchen nicht werden, wie sie bereits schon erfahren hatte und jetzt erst recht nicht.
Marikas errötetes Gesicht stand im Widerspruch zu ihrem betont genervten Tonfall. Fast musste Jasmin lächeln. Das war ja schon beinahe liebenswert.
Ihre Gedanken wurden abrupt abgelenkt, als Marika vorschlug, die nassen Sachen auszuziehen - nun war sie die, deren Gesicht errötete. Marika sah sie an, ohne jede Spur von Scham, und machte keine Anstalten, sich umzudrehen. Eine Zeit lang starrte Jasmin sie unsicher an. "Wa... jetzt? Hier? Vor dir?"
Fast schon entgeistert starrte Marika ihre Zimmergenossin an und stöhnte dann auf. „Nicht dein Ernst, oder? Ey Mädel, falls es dir noch nicht aufgefallen ist, wir sind beides Frauen und ich habe definitiv nicht vor, dir irgendetwas wegzuschaun“, gab die Streunerin deutlich ihren Missmut kund, machte dann aber einen Schritt zurück und trat aus der Duschkabine, um sich von außen gegen die nächstbeste Wand zu lehnen, sodass ihr Blick auf die Türe hinaus auf den Flur mit den Zimmern gerichtet war. „Aber mach schnell und lass vor allem das Wasser aus, sonst wachsen dir noch Schwimmhäute“, rief sie harsch über die Schulter.
Jasmin starrte ihr noch ein paar Sekunden hinterher, bevor sie aus einer Trance aufzuwachen schien. In größter Eile ließ sie ihre tropfnassen Klamotten auf den Boden fallen und wickelte sich dann in das erstbeste Handtuch, das sie in die Finger bekam. War ihre Reaktion übertrieben, nervig? Aber sie konnte sich doch nicht einfach vor einer beinahe-Fremden entblößen? In der Umkleidekabine nach dem Schwimmen gab es schon ein großes Geschrei, wenn einem das Handtuch nur kurz die Brust herunterrutschte. Und das sogar bei den gertenschlanken, hübschen Mädchen.
Sie wrang die Kleidungsstücke notdürftig aus und wickelte sie in ein zweites Handtuch, um nicht allzu sehr zu tropfen, bevor sie die Duschkabine verließ. Die kalte Luft auf ihrer Haut brachte sie erneut zum Zittern, doch diesmal war es wirklich nur die Luft.
Marika hatte Wort gehalten und starrte beharrlich den Gang an, allerdings immer noch völlig unbekleidet. Jasmin bemühte sich, ihren Blick nicht unter ihr Gesicht wandern zu lassen. "Uhm... war die Reaktion, äh, unangebracht? Ich werfe dir ja gar nichts vor, versprochen, es ist nur..." Sie verhaspelte sich und schlang das Handtuch enger um ihren Körper.
OT Gemeinschaftspost zusammen mit luminare entstanden. ^^