Rachel war auf ihren Einwurf mit dem Fluss eingegangen. Und irgendwie löste das ein wenig den Knoten in Sandrines Bauch. Natürlich hatte sie rational gewusst, dass ihre Kolleginnen und Kollegen sie nicht einfach alle kollektiv ignorierten, aber Gefühle waren zumeist doch ein ganz anderes Kaliber.
Aber wie verdreht es in ihr doch aussah - Belaine ging es schlimmer. Sandrine erinnerte sich nicht daran, die Erbin jemals ohne perfektes Stiling gesehen zu haben. Jetzt aber sprang sie aus einem Busch und sah eher so aus, als habe sie die letzten Tage in diesem Wald verbracht, ohne Zugang zu Zivilisation oder sonst etwas. Sandrine unterdrückte einen Aufschrei, als Belaine mit einem Stock vor Eunice herumfuchtelte und zu schreien begann, und auch Rocara zuckte ein Stück zurück. Sandrine durchfuhr eine gewisse Wärme, als sie realisierte, dass das Pokémon als Reaktion auf die Bedrohung ihre Nähe suchte. Sie hatte nicht erwartet, dass sie so schnell eine Verbindung zueinander aufbauen würden. Schnell wurde ihre Aufmerksamkeit aber wieder auf die Szene gelenkt, die sich nun vor den beiden abspielte.
Roxas reagierte auf Belaine. Unerwartet ruhig. Und ... sarkastisch? Sandrine konnte es nicht wirklich einordnen. Belaine jedoch schien es nicht gerade gut aufzunehmen, denn im nächsten Moment schnellte ihre Hand nach vorne und schlug ihm ins Gesicht. Unwillkürlich zuckte Sandrine zusammen. "Was zur ...", verließ ein geschocktes Flüstern ihren Mund. Und sie hatte gedacht, die Mission wäre schon schlimm genug. Sie hatte gedachte, ihre Psyche wäre ziemlich angeschlagen. Aber das da ...
Roxas reagierte überraschenderweise deutlich entspannter als sie selbst und entschuldigte sich sogar bei Belaine. Natürlich war sein Kommentar nicht nett gewesen, aber ... vermutlich sollte Sandrine einfach gar nichts mehr erwarten auf dieser Mission.
Noch immer nicht ganz sicher, was hier eigentlich passierte, war Sandrine schließlich Belaine den Fluss entlang gefolgt. Und wie sich herausstellte, hatte sie Recht gehabt - er führte zum Meer. Aber, überlegte Sandrine, hatte sie als sie auf der Insel ankamen überhaupt eine Flussmündung gesehen? Eigentlich nicht. Also war es nicht sehr abwegig, dass ihre Gruppe zwar am Strand, aber nicht bei ihren Pokémon ankam. Nur was war das für ein Lärm?
Verwirrt blinzelte Sandrine in die Richtung, wo sie eine große Staubwolke erblickte. Und ... war das Skaraborn? Kämpfte es etwa? Was war hier los?
Hilflos sah Sandrine sich weiter um. Sie konnten hier doch nicht in einer Sackgasse gelandet sein. Oder? Warum hätte Pinsir sie in eine Sackgasse führen sollen? Vielleicht ... Sandrine besah sich die Felsen gegenüber der Staubwolke. Vielleicht ging es ja dahinter weiter. Der Weg war sicher nicht einfach, aber sah doch machbar aus. Theoretisch.
Langsam näherte sie sich den Gesteinsformationen und fuhr mit den Händen darüber. Dort, wo sich keine Algen abgesetzt hatten, konnte sie sicher Halt finden.
"Rocara?"
Der fragende Laut ihres neuen Pokémons riss Sandrine aus ihrer Überlegung und sie blinzelte zu Rocara hinunter. Wenn es Rosie wäre, wäre sie schon längst oben. Der Gedanke durchzuckte Sandrine und verursachte ihr gleichzeitig ein schlechtes Gewissen. Sie war dem Rocara gegenüber absolut nicht fair.
"Ich weiß nicht, was los ist", erklärte sie ihm und schon wieder war ein leichtes Zittern in ihrer Stimme zu hören. "Vielleicht ist es besser, wenn du für eine Weile zurück in den Pokéball gehst."
Vehement schüttelte das Rocara den Kopf, oder eher den gesamten Körper. Sandrine wusste nicht, dass es sich weigerte, weil es beschlossen hatte, ihr zu helfen. Das mit ihr durchzustehen. Sie sah ihr Pokémon nur verständnislos an. Es war so schwierig, es nicht einschätzen zu können. Sich auf einen neuen Partner einzulassen. Sie hatte das Gefühl, alles überfordere sie.
Ohne nachzudenken, zog sie den Pokéball aus ihrer Tasche und rief Rocara gegen seinen Willen zurück. Dann drehte sie sich zum Felsen, legte beide Hände auf das Gestein und atmete, bis die Tränen nicht mehr hinter ihren Augen brannten. Sie würde sich später entschuldigen. Sie würde Rocara wieder herausrufen, sobald sie ihre Klettertour beendet hatte. Sie brauchte jetzt einfach diesen Moment.
Es war bei Weitem nicht der einfachste Felsen, den sie je heraufgeklettert war, aber es ergaben sich auch keine unmöglichen Stellen. Und als sie oben war, blickte sie aufs Meer. Meer. Endloses Wasser. Kein Strand. Keine wartenden Pokémon. Hier heraufzuklettern war absolute Zeitverschwendung gewesen! Sie hatte unnötigerweise Rocaras Wünsche missachtet. Alles für nichts und wieder nichts!
Sandrines Herz begann zu rasen und auch ihre Atmung beschleunigte sich. Es war eine Sackgasse. Dieser Strand, diese Mission, womöglich ihre gesamte Ausbildung und Karriere. Was konnte sie schon erreichen? Was brachte das alles? Warum?
Dieses Wort beherrschte ihre Gedanken, während sie sich langsam so weit beruhigte, dass sie sich zu den anderen umdrehen konnte. Die Staubwolke war zu weit weg, zu undurchdringlich, um etwas darin oder dahinter erkennen zu können. Hatte Kaliko nicht bei ihrer ersten Mission in einer ähnlichen Situation mit einem Fernrohr die Tauros entdeckt? So etwas bräuchte Sandrine jetzt. Aber sie hatte so etwas nicht.
Teambuilding. Das war es, was sie tun sollten. Und was tat sie? Sie kletterte allein auf ein paar Felsen und kam noch nicht einmal auf die Idee Kaliko nach ihrem Fernrohr zu fragen. Das war ja wirklich sehr erfolgreich ... Nun, zumindest den anderen ging es mit der Aufgabe besser zu gehen, denn Sandrine erkannte eine ganze Gruppe ihrer Guardian-Kollegen, wie sie offenbar einen Plan entwickelten. Und es wäre ihre Aufgabe gewesen, dabei zu sein. Darum ging es hier doch.
Trotz dieser Gedanken machte sie sich relativ langsam an den Abstieg. Sie wusste nicht mehr, was sie denken sollte. War sie überfordert? Fühlte sie sich unnütz? War sie einfach nicht gemacht für dieses Leben? Aber sie hatte es doch gewollt. Sie hatte ein Leben gewählt, in dem sie Pokémon und Menschen helfen konnte, friedlich zusammen zu leben. Verletzte Pokémon heilen. Bei Problemen unterstützen. Sie hatte gewusst, dass es anstrengend werden würde. Ihre Ausbildung war ja auch anstrengend gewesen. Aber seit sie ihren Abschluss hatte, stimmte irgendwas nicht mehr. Irgendwas war anders. Als würden all ihre Vorstellungen zerplatzen und sie völlig durchnässt im Regen stehen lassen. Komplett allein.
Als hätte es ihre Gedanken gehört, befreite sich Rocara aus seinem Pokéball und sah Sandrine entrüstet an. Das Mädchen bekam das Gefühl, dass so etwas von nun an häufiger passieren würde, wenn sie entgegen Rocaras Willen handelte.
"Ich lerne noch", flüsterte Sandrine zur Entschuldigung. Ein Schauer durchlief ihren Körper, als ihr klar wurde, dass sie nicht ganz wusste, was sie eigentlich lernte. Was das alles für einen Sinn hatte. Aber sie wusste, dass es der Wahrheit entsprach.
Rocara sah sie an. Betrachtete eingehend das Schimmern in ihren Augen. Sandrine wusste nicht, ob es vor ihr jemals einem weinenden Menschen begegnet war. Aber zu Sandrines Erleichterung, beließ es das Pokémon darauf beruhen und drehte sich um, um zu den anderen Guardians zurückzukehren. Nach einem Meter blickte es zu Sandrine mit einem Blick, der unmissverständlich "Worauf wartest du noch?" aussagte.
Sandrine konnte ein Lächeln nicht unterdrücken und folgte ihrem neuen Partner zu der Gruppe der Guardians. Roxas zeigte gerade auf die Staubwolke. Er hatte doch nicht etwa vor, dort hindurchzugehen? Aber anstatt zu fragen, kam Sandrine einfach stumm näher, in der Hoffnung, neue Erkenntnisse aus dem weiteren Gesprächsverlauf zu erhalten.
"STOP!"
Obwohl Sandrine sich halbwegs sicher war, nicht gemeint gewesen zu sein, blieb sie abrupt stehen, als sie Kalypsos Befehl hörte. Das wäre sie aber sicher auch so, als sie die nächsten Worte hörte. Kämpfen? Sie hatten kämpfen wollen? Ungläubig blickte Sandrine zu den anderen und entdeckte jetzt auch die beiden verletzten Pokémon, die mit ähnlichen Wunden wie Morlord im Sand lagen. Das hier überstieg eindeutig ihre aktuellen Fähigkeiten.
Mit einer gewissen Erleichterung hörte Sandrine daraufhin Kalypsos nächste Worte. Den Pokémon helfen. Genau das, was sie hatte tun wollen. Und getan hatte, erinnerte sie eine leise Stimme in ihrem Kopf. Sie hatten dem Morlord geholfen. Vielleicht ...
Kalypso teilte die kleine Gruppe in Paare auf, ließ Sandrine jedoch außen vor. Vermutlich hatte sie sie noch nicht gesehen. Unschlüssig blieb sie stehen, aber Rocara hatte andere Pläne. Zielstrebig flog es Kalypso hinterher, also blieb Sandrine wohl nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen, auch wenn sie noch nicht ganz wusste, was sie nun tatsächlich tun sollte.
OT: Der Post sollte natürlich schon viel früher kommen ...
Ulti, ich hoffe, ich habe Belaine richtig beschrieben, wenn nicht, einfach melden.
Der Abstecher auf die Felsen, bzw. die grandiose Aussicht übers Wasser ist mit Kuraudo abgesprochen.
Edit: Ups, da kam doch glatt noch ein Post, während ich diesen schrieb. Der ist hier jetzt natürlich noch nicht drin, weil ich ihn erst nach dem Posten gesehen habe. Mal sehen, ob ich das noch einbaue. Ist eingefügt.