Xaroc war mehr als nur ein wenig beleidigt. Erst unterbrach Marika ihre Gastgeberin mitten im Wort, dann bezichtigte sie ihn, dass er nichts als dumme Fragen stellte, nur um darauf den nächsten zusammenzufalten, dass die Neuen nicht genug über diese Wesen wüssten - was ja der Grund für seine ‚dummen‘ Fragen war - und ignorierte anscheinend die Ursache dafür, die sie sogar selbst nannte: die paar neuen Erleuchteten hatten gestern in ihrem gesamtem Leben ihren allerersten Kontakt mit so einem Wesen gehabt. Und da erwartete sie wirklich, dass sie gleich Koniferen - oder Koryphäen? Egal! - der Monsterkunde seien? Er setzte gerade zu einer langatmigen Beschwerde an, jedoch gebot ‚Schweigsam‘ ihm mit einem Finger, sich nicht einzumischen. Da der andere nun einmal älter war und wesentlich erfahrener wirkte - und Xaroc eh damit rechnete in dieser Diskussion den kürzeren zu ziehen - fügte er sich, nahm wieder Platz und schwieg.
‚Abwarten-und-Tee-trinken‘-Artemis setzte nun wie Xaroc zuvor zum Streitschlichten an und halb erwartete der junge Schwertkämpfer, dass dieses Bestreben durch scharfe Erwiderungen, wenn nicht sogar durch Handgreiflichkeiten, sang- und klanglos unterging. Aber dieser hatte anscheinend Glück, dass er lediglich eiskalt ignoriert wurde. An seiner Stelle wäre Xaroc dankbar dafür gewesen. Wenn andere nicht wollten das man sich nicht einmischte, hatte man sich auch einfach nicht einzumischen. Wenn man das ignorierte - oder wann immer Xaroc das ignoriert hatte - ging das ganze in der Regel immer schlecht aus.
Das ‚Gespräch‘ zwischen den beiden Zankenden wurde mittlerweile immer hitziger. Der junge Schwertkämpfer fühlte sich fast schon wie Zuhause, nur dass diesmal jemand anderes die Rollen der Streitenden innehatte. Wie bei einem Tennisspiel mit sehr schnellem Schlagabtausch flogen seine Augen zwischen den Kontrahenten hin und her und er sog überrascht scharf Luft ein, als plötzlich Waffen Teil der Angelegenheit wurden. Jeder schien den anderen belehren zu wollen ohne selbst etwas zu lernen. Xaroc konnte dem Wortverlauf kaum folgen. Doch so plötzlich die Situation auch eskalierte, so schnell schien sie auch wieder entschärft zu sein, als beide überraschend zu ihren Plätzen zurückkehrten.
„Ich habe mit keiner Silbe gesagt oder gemeint, dass diese Wesen harmlos seien.“, schmollte Xaroc mittlerweile. Ihm war es egal, ob ihn jemand hören konnte oder nicht. Er faltete die Hände auf dem Tisch, während er fortfuhr: „‚Tödlich‘ und ‚bösartig‘ sind doch zwei verschiedene Paar Sch-“
Weiter kam er dann jedoch nicht, als plötzlich ein durchdringender Schrei ertönte und er heftig zusammenzuckte. Ruckartig hob er den Kopf um nach dem Ursprung zu suchen und dabei sogar halb erwartete, dass Marika nun doch noch das Feuer eröffnete oder eine der Bestien erschienen war oder beides. Doch es war nichts dergleichen. Neben Alicia saß ‚Mumie‘ - Tomomi!, schalt er sich - zu einem Häuflein Elend zusammengesunken und an die Schulter ihrer Mutter schluchzend. Ein Anflug von Neid überkam ihn. Warum hat sie eine Mutter und ich nicht? Doch im nächsten Moment durchfuhr ihn die Antwort: Wegen dir! Die Tatsache, dass diese Stimme mehr nach seinem Vater als nach ihm selbst klang, ließ ihn erschaudern. Hastig wandte er sich von der schmerzlichen Szene ab.
Bestrebt diese so gut es eben ging zu ignorieren, sinnierte Xaroc noch ein wenig über Freunde und Feinde, Erleuchtete und Bestien, Verständnis und Streit. Vieles davon war ihm so fremd und unverständlich. Man konnte ja eine Menge aus Büchern lernen, doch auf so etwas konnte ihn kein Buch vorbereiten. Wahrscheinlich hätte er nicht einmal in einer Schule über manches davon etwas in Erfahrung bringen können. Er seufzte, wie schon so oft, seit seinem Verschwinden von Zuhause.
Schließlich drifteten seine Gedanken langsam ab und plötzlich ertappte er sich selbst dabei, wie er ‚Schweigsam‘ verstohlen aus dem Augenwinkel beobachtete. Im Gegensatz zu manch anderem hier, mochte Xaroc ihn irgendwie. Trotzdem wandte er schnell den Blick ab und versuchte angestrengt möglichst woanders hinzusehen.