Alles anzeigenMir geht eben diese ganze Symbolpolitik und dieses "reden wir mal drüber" am Arsch.
Am Ende muss man nicht wirklich etwas Sinnhaftes tun, wenn man mit vielen Symbolen um sich wirft und sehr viel drüber redet.
Ich hatte heute ein Interview verfolgt, das sich mit dem neuen Anti-LGBT-Gesetz in Ungarn auseinandergesetzt und was soll ich sagen... es immer derselbe Mist. Moralisch ganz doll viel Empörung und schöne Symbole, aber es wird nicht wirklich was getan. "Wir verurteilen das Gesetz in Ungarn, aber wir sind in der EU alle Freunde und reden miteinander." Ja, das war OT-Ton des Interviews. Wir sind in der EU alle Freunde. Yah sure.
Und mit Orban reden. Viel Glück dabei. Der Moderator hat noch explizit nachgehakt, ob man Ungarn damit drohen könnte es aus der EU auszuschließen ... ne, also wir reden mal ganz oft mit dem Orban drüber. 🤷🏼♀️
Mir wäre da noch lieber, wenn man von der Politik aus sagt: "ist uns eigentlich wurst ob Ungarn queerfeindlich ist", anstatt diese andauernde Heuchelei und diese andauernden Beschwichtigungen.
Okay, hier sind sogar mal Punkte dabei, denen ich zustimmen kann. Aber um vielleicht noch einmal mein Problem zu erläutern: Es gibt de facto Leute, denen die Regenbogenbeleuchtung etwas bedeutet hätte. Die Gründe dafür können verschieden sein: Grundsätzliche Repräsentation, ein Mittelfinger Richtung des LGBTIQA+-feindlichen Ungarns, whatever. Bevor wieder der nach wie vor für mich nicht nachvollzihebare Gedankensprung kommt: Nein, das heißt nicht, dass diese Leute der UEFA aus der Hand gefressen hätten. Der Punkt ist nun einfach, dass ich es unnötig zynisch finde, diesen Leuten dann mit so etwas zu kommen:
Bin ziemlich enttäuscht von der Ansicht vieler LGBT Leute tbh. Denen ist es egal wie scheinheilig gewisse Konzerne und diverse Organisationen sind, Hauptsache sie pappen irgendwo die Regenbogenflagge dazu. Selbst wenn derselbe Konzern das nur in eher progressiven Ländern tut und in eher konservativ ausgerichteten Ländern die Regenbogenflagge aus deren Produkten und co weglässt.
Von denen brauch ich es auch nicht, dass sie mir in den Allerwertertesten kriechen und am Ende nur mein Geld wollen.
Es ist, um das Beispiel noch einmal aufzugreifen, in etwa so, als würde man die Schwarzen Kinder, die mit leuchtenden Augen aus Black Panther gekommen sind, über alle Problematiken des Disney-Konzerns oder Hollywood allgemein aufklären und ihnen dann reindrücken, dass sie naiv sind, wenn sie den Film per se trotzdem schön fanden. Diesen Zynismus braucht es schlicht nicht, aus zwei Gründen: Erstens ist er absolut nicht hilfreich und wird von keine wirklich konstruktiven Perspektive begleitet. Zweitens richtet er sich jeweils ironischerweise gerade gegen die, die doch eigentlich die Unterdrückten im System sind. Und man kann sich hier doch fragen, ob das nicht schon der falsche Fokus ist (dazu später).
Außerdem, wie natürlich noch einmal zu betonen ist: Die jeweiligen Unterdrückten dürften sich eben sehr gut der Tatsache bewusst sein, dass große Konzerne und andere Organisationen nicht ihre Freunde sind. Du erzählst wahrscheinlich keiner LGBTIQA+-Person etwas Neues, wenn du darauf hinweist, dass BMW Katar auf Twitter kein Regenbogenlogo hat.
Damit verbunden ist mein Problem, dass die Leute, die den Fortschritt in Hinblick auf Diskriminierungsabbau blockieren, im Vergleich sehr leicht bei dir davonkommen oder es anscheinend würden, wenn sie nur endlich diese entsetzliche Scheinheiligkeit fallen ließen und ggf. offen homophob etc. wären. Man sollte meinen, die Speerspitze der Kritik sollte sich hauptsächlich gegen diese Personen richten, und nicht gegen LGBTIQA+-Personen. Mittlerweile scheinst du dich auch darauf zu fokussieren, was ich insofern natürlich gut finde. Und natürlich würde ich dir hier zustimmen: Ja, unsere Politiker*innen sind scheinheilig (erneut: das ist aber auch jeder Person bewusst) dahingehend, dass sie Selbstbestimmungsgesetze blockieren, dass sie Namensänderungen partout nicht leichter machen wollen, dass sie das von QueFueMejor oben erwähnte Blutspendeverbot nicht aufheben wollen und was weiß ich nicht noch alles.
Gleichzeitig aber stelle ich auch infrage, ob ein offenes "Jo, Ungarn, mach, was du willst" wirklich die bessere Alternative wäre. Nicht falsch verstehen, ich halte Scheinheiligkeit wie gesagt für falsch und dass man von ihr nicht mehr belästigt werden will, ist absolut nachvollziehbar, aber ich würde hier doch die Frage nach den Konsequenzen für die Betroffenen aufwerfen: Wenn alle anderen EU-Politiker*innen (einigen würde ich nebenbei bemerkt bescheinigen, dass ihnen die Rechte von LGBTIQA+-Personen sogar gar nicht egal sind, aber der Platz reicht hier nicht für ausreichende Differenzierung) Ungarn nicht zumindest verurteilen würden, so würde das die Position der Unterdrückten real betrachtet schwächen, während Orban sich um Konsequenzen dann nun wirklich gar keine Sorgen mehr machen müsste. In der Regel ist es den Unterdrückten in einem Land nicht unbedingt zuträglich, wenn alle anderen Länder signalisieren, dass ihnen das scheißegal ist. Aber zugleich muss man auch die innenpolitische Seite betrachten: Ich will mir tbh nicht ausmalen, wie Angriffe gegen LGBTIQA+-Leute hierzulande zunehmen würden, wenn sämtliche Politiker*innen (oder seien es meinetwegen nur die der CDU/CSU) kommunizieren würden, dass ihnen Diskriminierung egal ist. Im Fazit: Ich kritisiere ebenfalls die inkonsequente derzeitige Haltung unserer Politik, aber offene LGBTIQA+-Feindlichkeit bzw. offene Gleichgültigkeit derselben gegenüber ist imo nicht die Lösung.
Die Lösung ist hingegen schlicht das: Dass die Politiker*innen sich wirklich und wahrhaftig dafür einsetzen, dass die Diskriminierung in Ungarn aufhört und dass sie sich auch innenpolitisch dafür einsetzen. Aber gerade das ist mein Punkt: Du hast bezüglich einer Lösung effektiv gesagt, es wäre dir lieber, die Politiker*innen sollten (noch) weniger für LGBTIQA+-Leute machen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Sie sollten mehr machen, und nichts anderes, denn das bisschen weniger Scheinheiligkeit bei kompletter Einstellung der bisher ohnehin nur marginalen Unterstützung ist kein ausreichender Ausgleich für die oben erwähnten Konsequenzen für die Betroffenen.