Im Gegensatz zu unserer üblichen Vorgehensweise würde nicht Feurigel die Spitze in der dunklen Höhle bilden, sondern Tafforgita. Sie nahm sich zuvor noch die Zeit, aus einigen Materialien in der Nähe des Eingangs eine provisorische Fackel zu basteln. Mit einer gezielten Glut-Attacke entzündete Feurigel sie und wir konnten unseren Weg in die Finsternis beginnnen. Am meisten beeindruckte mich dabei nach wie vor, wie sie mit der brennenden Fackel in einer Hand und dem hinterher geschliffenen Hammer in der anderen keinerlei Probleme hatte, sich hier fortzubewegen. Beinahe wollte ich schon mein Erstaunen aussprechen, als sie plötzlich stehen blieb. Ich konnte gerade noch stoppen, um nicht in sie hineinzulaufen, während Feurigel seitlich etwas Abstand hielt. Sie konnte aber direkt erkennen, warum wir angehalten hatten.
„Eine neue Münze“, sagte sie und zeigte vor uns auf den steinigen Boden. Tatsächlich lag dort einsam und verlassen ein schimmerndes Objekt. Mittlerweile hatten wir uns schon so sehr daran gewöhnt, dass es gar nichts Besonderes mehr war, eine zu finden. Bisher hatten sie uns tatsächlich auch immer den richtigen Weg gezeigt. Gerade, als sich Feurigel bückte, um die Münze aufzunehmen, huschte ein Schatten an ihr vorbei und hatte sie an sich gerissen. Verdutzt sah meine Partnerin in die Richtung, in der sie den Fremden vermutete und sowohl Tafforgita als auch ich folgten ihrem Blick. In einiger Entfernung befand sich ein äußerst kleines, graues Lebewesen, das uns zuerst den Rücken zugewandt hatte. Als es die Münze schließlich geschultert hatte, drehte es sich um und zeigte sich uns mit verschränkten Armen.
„Finger weg von meiner Beute! Die hier habe ich vorhin verloren und sie gehört eindeutig mir!“
„Natürlich“, murmelte ich und vermied es, mit meinen Augen zu rollen. Einen Dieb zu erkennen war meistens nicht besonders schwierig und dieser hier machte definitiv keinen Hehl daraus, dass er einer war. Bevor ich seine bisherige Darbietung ansprechen konnte, ließ Tafforgita allerdings den Hammer fallen und lief freudig auf den Neuankömmling zu.
„Gierspenst! Dor büst du ja! Kennst du mi noch?“
Zur Begrüßung streckte sie ihm die Hand entgegen und ließ so erkennen, dass ihr Gegenüber jemand Bekanntes zu sein schien. Feurigel und ich sahen uns verwirrt an und wunderten uns über den Namen. Das sollte Gierspenst sein?
Auch das Wesen selbst wusste zuerst wohl nicht, wer sich ihm gegenüber befand und er grübelte nachdenklich. Schließlich kam ihm aber wohl ein Geistesblitz und er reckte freudig beide Hände nach oben.
„Tafforgita, ja! Ich hätte eigentlich wissen müssen, dass du wieder einmal hier vorbeischauen würdest! Wie ist es dir in all der Zeit ergangen?“
Auf die Frage hin ließ sie den Kopf hängen und schüttelte den Kopf.
„Darüber künnt wi later noch snacken! Wi sünd hier, üm mien Meestersche to finden.“
„Granforgita meinst du?“, fragte Gierspenst nachdenklich und erhielt daraufhin ein entschlossenes Nicken. Ihn schien die Reaktion zu beunruhigen, da er sich mehrmals zur Seite umblickte. Fast so, als würde er etwas Bestimmtes erwarten.
„Weißt du vielleicht, wo wir sie finden können?“
Während ich gesprochen hatte, war ich vorgetreten, um mich dem Neuankömmling zu zeigen. Zuerst schien Gierspenst erpicht darauf, sich zu verstecken, allerdings deutete Tafforgita an, dass wir keine Gefahr darstellen würden. Dementsprechend blieb er auf seiner Position stehen.
„Nun, wie soll ich sagen“, begann er und vermied daraufhin weiteren Blickkontakt. „Also, es könnte sein, dass sie, also Granforgita, dass sie, äh, nun ja …“
„Segg man!“
„Okay, okay!“ Gierspenst holte tief Luft, bevor er seine Gedanken nun klar aussprechen konnte. „Also, deine Meisterin wird gefangen gehalten. Hier in dieser Höhle.“
Mit unveränderter Miene blickte Tafforgita weiterhin zu ihrem Freund hinab und erwartete, dass er noch mehr sagen würde. Als er diese stille Bitte erkannte, wedelte er erschrocken mit seinen kleinen Armen.
„D-das ist alles, was ich weiß! Wir haben uns hier verabredet, um genau eintausend Münzen zu sammeln und wurden dabei …“
„Eintausend?!“, mischte sich nun Feurigel interessiert ein und trat ebenfalls vor. „Was macht ihr mit dieser riesigen Menge?“
„Sag mal, wer sind die beiden eigentlich?“, fragte Gierspenst neugierig und deutete auf uns zwei. In all der Aufregung wurde mir nun schmerzlich bewusst, dass wir vergessen hatten, uns vorzustellen. Es war demnach höchste Zeit, das nachzuholen.
„Ich heiße Memmeon“, sagte ich und zeigte daraufhin zu meiner Partnerin. „Das hier ist Feurigel. Wir bilden gemeinsam das Team Buntschwinge, um Tafforgita zu helfen.“
„Helfen, sagt ihr?“ Gierspenst schien intensiv über etwas nachzudenken, bis Tafforgita ihre Meinung äußerte.
„Ja. De beden sünd de Besten, de es för diesen Opdrag gifft.“
Erneut lobte sie uns mehr, als mir eigentlich genehm war. Feurigel schien das wesentlich gelassener zu sehen, während ich mich eigentlich gern wieder verstecken wollte. Wir galten zwar durchaus als verlässlich, aber übermäßiges Lob fiel mir noch immer etwas schwierig anzunehmen.
„Verstehe“, meinte er nun nickend und deutete mit einer Hand auf sich selbst. „Mich habt ihr vermutlich schon erkannt. Gierspenst lautet der Name! Wäre ich außerhalb meiner Truhe nicht so schnell, wäre ich vermutlich auch gefangen worden. Leider habe ich nicht erkannt, wer unsere Angreifer waren.“
„Aber eine Münze konntest du mitnehmen?“, fragte Feurigel und deutete in Richtung seines Rückens.
„Das ist etwas anderes! Ihr müsst wissen, dass ich daraus meine Kraft ziehe und sie deswegen nicht einfach zurücklassen will, äh, kann. Ja, genau!“
Aus einem unerfindlichen Grund hatte ich das Gefühl, dass Gierspenst gerade versuchte, uns anzulügen. Dennoch nahm ich ihm die Geschichte mit der Münze für den Moment ab. Immerhin schien wesentlich mehr dahinter zu stecken, als er bisher erzählt hatte.
„Dann sollten wir uns besser daran machen, weiter zu gehen“, schlug ich vor und erntete dafür ein kollektives Nicken. Einzig Gierspenst zeigte sich nicht sonderlich begeistert darüber.
„Und mich hier zurücklassen? Ihr seid mir vielleicht ein Rettungsteam!“
„Denn kaam mit un help uns.“
Erschrocken wich er nun einen Schritt zurück und machte den Anschein, sich lieber aus dem Staub machen zu wollen. Als Tafforgita in Richtung des Inneren der Höhle deutete, ließ er sich jedoch dazu überreden, uns zu begleiten. Um Schritt zu halten, kletterte er kurzerhand auf ihren Hammer und setzte sich dort still hin. Anschließend setzten wir unseren Weg fort, um die Schmiedemeisterin namens Granforgita zu retten. Weit würde es wohl nicht mehr sein.
Münze 19