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Ähnlich wie im letzten Jahr gibt es auch dieses Jahr wieder eine bestimmte Anzahl an Punkten, die ihr den Texten geben könnt. Dabei ist zu beachten, dass ihr frei wählen könnt, wie genau ihr die Punkte verteilt und welche Texte mehr Punkte als andere bekommen. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen, komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenige oder zu viele Punkte enthalten können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen, eure Wahl begründen und natürlich nicht für eure eigenen Texte voten. Da die Saison nun bald zuende geht, hat sich das FF-Komitee dazu entschieden, keine Punkte mehr für die verfassten Votes zu vergeben. Es wäre trotzdem hilfreich, wenn ihr euch aufrafft und fleißig votet, um den Newcomern eure Meinung kundzugeben!
Hierzu ist es hilfreich, euch das "How to vote-Topic" anzusehen. Weitere Informationen findet ihr hier: Informationen zur Wettbewerbssaison 2013.
Ihr könnt 6 Punkte verteilen
Der Vote läuft bis Samstag, den 23.11.2013, um 23:59 Uhr.
Es ist dunkel. Überall um mich herum herrscht tiefschweigende Dunkelheit. Still. Und still ist es. Ich höre nichts. Nur meine pulsierenden Schläfen, mein pochendes Herz, mein schnell gehender Atem. Schweiß. Schweiß in meinem Nacken. Schweiß auf meiner Stirn. Kalter Schweiß. Angstschweiß. Ich muss mich beruhigen, sonst findet er mich. Beruhigen, beruhig dich. Alles wird gut. Ich stehe auf, der brennende Schmerz in meinen Augäpfeln lässt langsam nach. Vielleicht gewöhne ich mich ja sogar gleich ein bisschen an diese Finsternis. Tief durchatmen, Alexandra. Ein, und aus. Er ist nicht mehr da, nicht mehr hinter dir. Dreh dich um, da ist nichts, siehst du. Er ist fort. Kommt nicht wieder. Weg. Ich habe ihn abgeschüttelt. Aber was macht dann dieses Gefühl von … ich bin nicht alleine. Schweiß. Wieder dieser Schweiß. Und mein Atem. Ich schlage mir auf den Mund. Doch, er ist hier. Ich spüre ihn. Spüre seine Nähe. Er weiß, dass ich hier bin. Nur nicht, wo. Da drüben, ist das die Tür? Lauf. Lauf! Ich ergreife den Türknauf und drehe ihn mit einem ohrenbetäubenden Knacken. Ich höre, wie hinter mir Stühle umfallen, Licht ergießt sich durch den offenen Türrahmen in den Raum. Ich kreische auf. Er steht direkt hinter mir. Mein Herz schlägt so schnell, ich habe Angst, es flattert gleich auf, durch meine Lunge, meine Luftröhre, durch meinen Rachen, meine Mundhöhle, fliegt davon, lässt mich allein, zurück in dieser schrecklichen, schrecklichen Angst.
Blut rinnt von seiner Schläfe. Ein wahnsinniger Ausdruck in seinen Augen. Oh, wie ich mich verfluche. Ich hätte nur nicht zu diesem Augenblick in sein Büro kommen dürfen, ich hätte es nicht gesehen, ich hätte jetzt nicht dieses, dieses … Problem. Ich renne. Der Flur stinkt nach Bohnerwachs. Und ich dachte, der wäre heute schon lange aus der Mode. Aber Gabrielle, die Putzfrau, ist alt. Sechzig? Älter. Ja, sie ist älter. Oh, verdammt, Alex, hör auf zu denken wie als würdest du arbeiten. Hinter dir ist ein Mann, dem es ums Ganze geht. Er ist nur hier, weil er dich töten will. Es geht hier nicht um ein Katz-und-Maus-Spielchen, verdammt, begreifst du es nicht? Dieser Kerl ist nicht nur bereit, er will es, er dürstet danach, dich in deiner eigenen Blutlache liegen zu sehen. Lauf, verflucht! Mit vor nach einer Ruhepause kreischenden Lungenflügeln stürme ich um die Ecke. Die Neonröhren über mir flackern bedrohlich. Ich höre mich schreien. Höre seine Schritte. Meine Schritte. Er ist schneller, höre ich. Er läuft sehr schnell. Sehr, sehr schnell. Hör auf zu denken, Alex. Du sollst laufen, laufen! Töten will er dich, dein Leben auslöschen, begreifst du das nicht? Was, wenn er dazu kommt? Gehe nicht so leichtfertig damit um, verdammt, Alex! Ich rutsche eine Treppe hinunter, finde mich in dem Gang mit den Konferenzräumen wieder. Draußen ist es dunkel. Was, wenn ich einfach um Hilfe schreie? Nein, nein, nein, nein … Nein! Er hört dich noch, halt bloß den Mund, halt den Mund hab ich gesagt! Dann hört er dich, dann weiß er wo du bist, und hier ist sowieso niemand mehr um diese Zeit. Meine Sicht verschwimmt vor Erschöpfung. Keuchend bleibe ich vor einer Tür stehen. Pressekonferenzen. Dafür ist dieser Raum hier da. Panisch greife ich nach meinen Schlüsseln. Ein ganzes Bund voll. Scheiße. Satte achtundvierzig baumeln fröhlich von dem eisernen Ring hinab. Nochmal scheiße. Hektisch probiere ich alle aus. Der Zwölfte funktioniert. Ich sehe gerade noch seinen Schatten die Treppe hinunterhechten, die ich selbst eben noch genommen hatte. Schnell jetzt, lass die Tür ins Schloss fallen, Licht aus! Da, ist das eine Vase? Nimm sie. Wenn er reinkommt und dich angreift … dann schlägst du zu. Dieser Mann will dich töten. Er will es. Er will es unbedingt. Du musst dich verteidigen. Du hast Angst? Natürlich hast du Angst. Ich habe Angst. Ich spüre es. Zittere, bebe, habe blaue Lippen, kalten Angstschweiß überall, ein mir bis zum Hals pochendes Herz. Wenn man Angst hat, kann man Dinge tun, zu denen man sonst nicht bereit ist. Nimm die Vase. Sie fühlt sich gut an. Kühl, kühl und glatt. Wunderbar beruhigend. Beinahe meine ich, mein Herz langsamer schlagen zu hören. Oder? Nein, war wohl nur Einbildung. Verdammt, Alex. Lass sie nicht los. Du musst zuschlagen, wenn er reinkommt. Deine Gelegenheit, verdammt. JA, DEINE GELEGENHEIT. Ich lege die Hand auf meine Brust. Vom Schweiß ganz fettige Haarsträhnen hängen mir lose und struppig ins Gesicht, ich puste sie beiseite. Die Tür. Da ist einer an der Tür. Vor Schreck hätte ich beinahe die Vase fallen lassen. Mein ganzer Körper ist wie gelähmt, meine Muskeln reagieren nicht. Die Tür öffnet sich. Ein immer breiter werdender Lichtkegel fällt herein, zeigt genau auf mich. Ich springe leise, behände zur Seite in die Schatten. Fühle mich sicherer. Nicht sicher. Nur sicherer als eben. Poch, poch. Mein Herz. Hör auf zu schlagen. Es verrät dich. Halt den Mund, Herz, sei still. Ich unterdrücke einen Aufschrei. Was geschieht mit ihm? Er … er ist ganz grün. Steckt womöglich doch mehr dahinter als nur die Tatsache, dass ich ihn mit Cassy in seinem Büro erwischt habe und er sie daraufhin erwürgt hat? Die Muskeln in meinen Armen sind kalt, aber sie funktionieren noch. Vielleicht eingerostet. Gut. Aber sie tun ihre Aufgabe. Halt sie still. Nur jetzt. Gleich nicht mehr. Er ist grün. Wieso ist er grün? Normale Menschen sind nicht grün. Er ist ein normaler Mensch. Ein normaler Büroangestellter. Clark Lockwood, ein ganz gewöhnlicher, alltäglicher Geschäftsmann. Trägt gern graue Anzüge, monotone Krawatten, weiße, gebügelte Hemden. Hat eine Frau, soweit ich weiß. Elisis oder so etwas. Ich mochte sie. Hab sie einmal gesehen. Jaja …
Alex … hör auf zu denken … deine Sinne, lass deine Sinne das machen … ruhe da oben, Ruhe im Schädel, aber sofort! Er kommt näher, gleich, gleich, WAS IST DAS!? Seine Augen, seine Augen, sie, sie, sie, seine Augen … ! Sie sind blutrot, keine Pupillen mehr, was geschieht mit ihm, wer ist das, was passiert hier, bin ich tot, träume ich? Ich kreische voller Entsetzen, und schlage ihm ohne zu zögern die teure Vase auf den Hinterkopf. Er schreit kurz auf. Blut. An seinem Kopf, an den Bruchteilen der zersprungenen Vase – mein Chef wird mich umbringen, er hat sie aus China – an meinen Händen. Blut überall. Wenn das rauskommt. Ich bin meinen Job los, wie es auch kommt … oder mein Leben. Ganz wie es kommt. Konzentrier dich. Renn. Er steht auf, wieso steht er auf. Was ist das Gelbliche, was da aus seinem Mundwinkel fließt? Dieser Mann ist kein Mensch. Lauf. Lauf. Alex, lauf!
Kalte, weiße Hände. Weiß. Blass wie eine Leiche. Mausetot. So wie ich gleich. Wer ist dieser Mann? Er kann kein Mensch sein. Lauf. Er holt dich gleich ein. Nicht über das Neonlicht nachdenken, Alex. Es ist nur ein Neonlicht. Aber das hier, das ist dein Leben. Und vielleicht ist es das gleich nicht mehr. Neonlicht-Gedanke Ende. Renn. Da vorne ist die Eingangshalle. Lauf. Dort kannst du nach draußen. Die Cops, die werden dir helfen. Sie sind gute Menschen. Menschen, keine Ungeheuer, Monster, nein, Menschen wie du und ich, wie jedermann. Lauf, du schaffst es. An dem prunkvollen Springbrunnen vorbei, an den unechten Buchsbäumen vorbei, lauf. Lauf. Die Tür. Doppeltür. Aus Glas. Sie kommt immer näher. Ich bin schon fast da. Bin fast da. Bin. Fast. Da. Ich strecke meine Hand aus, berühre beinahe das kalte, langweilige Metall der Griffstangen. Nur noch der Bruchteil einer Sekunde. Kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Jetzt. Ich berühre sie. Ziehen? Nein, drücken. Drück! Nichts passiert. Die Schritte kommen immer näher. Panik, Panik, sie lähmt mich. Ich stemme mich mit aller Macht gegen das Glas, es zersplittert, ich falle durch die Tür ins Freie. Kalte Nachtluft strömt mir entgegen. Benommen finde ich mich auf dem Boden wieder. Splitter stecken in meiner blutenden Haut. Heute Morgen erst habe ich sie eingecremt. Gute Haut, reine Haut, und jetzt voller Schrammen. Die Angst ist weg. Seltsam. Und die Schritte auch. Ich stemme mich mit meinen schmerzenden Gliedern hoch, und blicke erstaunt in das freundliche, aber fragende Gesicht eines Bernhardiners. Er legt den Kopf schief und sieht mich an. Niedliche Augen hat er. Und weiches Fell. Sieht einladend aus. Was … hat er … hat er gerade das Maul bewegt, als hätte er etwas gesagt? Was? Ich verstehe dich nicht, sprich lauter …
„Alex, wach auf, hörst du? Dein Chef ist am Telefon. Er meint, es wäre dringend.“
Vollkommen verwirrt starre ich ihn an, und noch während ich das tue, ändert sich plötzlich alles. Mit einem Mal starre ich eine weiße Decke an. Mein Kopf liegt auf einem Kissen. Mein Schlafzimmer. Und da ist Clark, mein Mann, hält mir das Telefon hin. „Hm?“, murmele ich schlaftrunken und nehme den Hörer wortlos entgegen.
„Alex, die Vase!“ Ich verstehe kein Wort. Clark gibt mir einen Kuss und verschwindet in der Küche. „Was?“, frage ich, meine Lider noch halb geschlossen.
„Sie haben meine teure Vase zerbrochen, gestern bei Ihrer Nachtschicht!“
Ich weiß, mein Chef ist sauer. Aber ich lächle versonnen. Wie verrückt Träume doch sein können.
„Wollen wir Freunde werden?“
Freundschaft.
Eine Bindung, welche eigentlich für immer anhalten sollte, eigentlich …
Aber was macht echte Freunde aus?
Dass sie sich hinter deinem Rücken über dich auslassen; dir grinsend ins Gesicht lügen; Wichtigeres zu tun haben, wenn du sie einmal brauchen würdest?
Ja, so kann man den Wert von Freundschaft in der heutigen Zeit definieren.
Wahre Freunde kann man nicht kaufen, eher ist Freundschaft etwas, das über viele Jahre hinweg heranreifen muss. Doch heutzutage ist Geduld eine eher seltene Eigenschaft.
Zeit.
Ein Gut, welches der moderne Mensch zunehmend mit Hektik gleichstellt.
Zeit ist Geld! Geld verschafft Einfluss! Einfluss ist wertvoll!
Scheine hier, Münzen da. Das größte Thema der Gesellschaft. Bei Barem hört Freundschaft auf und Feindschaft, Neid, Gier und Derartiges nimmt Überhand.
Ist es nicht Gier, worauf im Wesentlichen alles aufgebaut wird? Geld, Ruhm, noch mehr Geld und Spaß, wobei Spaß auf vielerlei Wege interpretiert werden kann.
Ist die Tatsache, dass wahre Freundschaften immer seltener werden, aus diesem Standpunkt aus betrachtet dann noch immer so überraschend?
Wir geben doch nichts, ohne eine Gegenleistung zu erwarten oder gar zu verlangen: Handeln für Profit. „Give me sweets or you’ll be treated!“
Es ist nicht zu übersehen, dass wir in eine komplett falsche Richtung handeln, denn denken wir auch mal darüber nach, worauf wir unseren Zusammenhalt überhaupt aufbauen?
Misstrauen wir uns nicht mehr, als dass wir uns vertrauen?
Ist das nicht eine Frage, die unser soziales Miteinander beschäftigen sollte?
Wir haben die Wahl: Freundschaft, aus der etwas werden kann, oder Freundschaft, die nur als Mittel zum Zweck benutzt wird…
Wenn dir dein Leben sagt, du sollst springen, springst du dann, weil du musst oder weil du es willst?
Lässt du dich fallen oder fällst du, weil du es musst?
Wärme.
Die Strahlen der Sonne auf meiner Haut.
Nur in solchen Momenten fühle ich mich lebendig, nur so entfliehe ich diesem Alltag. Einem Alltag aus Hass und Anschuldigungen. Ich bin es leid, einfach nur leid.
Ich kann es mir nicht mehr mit ansehen, wie sich die Menschen um mich herum gegenseitig zerstören. Sei es durch Taten oder selbst nur durch Worte.
Ich öffne die Augen, blicke direkt in die Sonne. Der plötzliche Wechsel von Dunkelheit zu Licht, er erinnert mich daran, was geschieht, wenn ich wieder zurückgehe.
Hier oben, auf dem Dach des Hauses meiner Familie, bin ich glücklich und habe Hoffnung, kann das Licht sehen, dass mir mein eigentliches Leben verwehrt. Unten, wieder zurück in der Realität, wird nur herumgeschrien, keiner glaubt dem anderen, die Finsternis in den Herzen ist in jeder Bewegung unübersehbar.
Ich schließe wieder die Augen, ich will nicht sehen, nicht daran denken, was ich nicht habe, nur spüren, was mir in meinem Leben fehlt.
Ich spüre den Wind in den Haaren, er gibt mir das Gefühl der totalen Freiheit.
Ich stelle mir vor, was passieren würde, wenn ich mich ihm hingeben würde. Würde ich fallen oder von ihm fortgetragen werden?
Aber ebenso fühle ich die stechende Kälte des Windes. Sie ringt mit der Wärme der Sonne, genauso wie ich mit mir kämpfe.
Mir ist klar, dass ich auf diese Weise mein Leben zu leben nicht lange aushalten werde, mich nicht mehr lange vor dieser Dunkelheit schützen kann. Schließlich kann ich mich nicht immer aus dem Alltag entziehen und wenn ich zurückkomme, ist es so, als wäre ich nie weg gewesen. Aber wie soll ich etwas daran ändern?
Soll ich etwa aus meinem Leben fliehen, davonlaufen? Das Wichtigste ist mir doch die Familie! Auch wenn wir uns seit ein paar Monaten, vielleicht sogar Jahren nur noch streiten, es war doch nicht immer so!
Wenn ich zurückdenke, dann sehe ich, wie wir zusammen gelacht haben, wie wir uns wortlos verstanden haben. Was ist nur mit uns passiert, dass wir uns so sehr verändert haben?
Alles was ich will, ist doch, dass wir wieder eine richtige Familie werden, eine Familie, die sich nicht nur misstraut und anschreit.
Ich will eine Familie, in der sich alle wieder wohlfühlen können; eine Familie, in der man Liebe spüren und sehen kann; eine Familie, die zusammenhält.
Warum fehlt uns dieses Urvertrauen auf einmal?
Was führte soweit?
Egal wie lange ich überlege und die Sonne und den Wind genieße, mir fällt keine Erklärung dafür ein.
Ein letzter Windhauch. Flaute.
Ich sehe, wie die Sonne versinkt, verfolge das Farbspiel am Himmel und in den Wolken.
Als nächstes merke ich, wie ich langsam beginne zu frieren, die Nacht bricht an.
Ich klettere durch mein Fenster in mein Zimmer, auch wenn es offen war, raubt mir die stickige Luft, welche mir entgegen schlägt, den Atem.
Sofort ändert sich meine Laune, ich verliere alle Lust. Wie sollte ich mich auch darauf freuen, gleich wieder grundlos angefahren zu werden?
Ich schaue in den Spiegel, betrachte mein Spiegelbild. Mein Anblick erinnert mich an ein Lied: ‚Oh du lieber Augustin, alles ist weg!’
In dem Moment, als ich mein Zimmer betrat, habe ich tatsächlich wieder alles verloren, was mich fröhlich machen kann. Das Gefühl der Wärme, der Freiheit und der Geborgenheit … Einfach alles musste ich draußen zurücklassen, als wäre mein Fenster eine Wand, durch die nichts Schönes eindringen könnte.
Ein weiterer Blick auf mein Spiegelbild. Ich blicke mich an und fühle plötzlich eine Wut, nicht auf die anderen, nein, auf mich. Ich hasse mich dafür, dass ich mich ständig aus meinem Leben schleiche, dafür, dass ich mich nur beschwere und nichts dagegen unternehme, dafür, dass ich so ein Feigling bin.
Ich hole mit meiner Faust zu einem Schlag aus, doch ich halte inne. Was bringt es schon, wenn ich nun zuschlage? Außer Schmerzen und Verletzungen? Eine Stimme in meinem Kopf flüstert mir zu, dass meine Familie vielleicht aus Mitleid zu mir wieder zueinander finden könnte. Ich blende die Stimme aus. Ich will kein Mitleid, ich will Liebe, ich will meine Familie.
Ich blicke auf meine Faust. Genau davor hatte ich doch Angst, davor, dass die Finsternis und der Hass von mir Besitz ergreifen. Fast hätte ich mich dieser Leere hingegeben. Wäre ich dann hinuntergegangen und hätte mitgeschrien? Wäre ich auch so geworden? Wäre ich morgen wieder aus meinem Zimmerfenster geschlüpft und hätte die Schönheit der Welt nicht mehr erblicken können?
Ich verstehe, dass es so einfach nicht weiter gehen kann.
Wenn ich nicht versuche etwas zu ändern, wird es wohl niemand tun.
Ich raffe mich zusammen, habe einen Entschluss gefasst.
Als ich durch die Türe in den Flur trete, zögere ich kurz. War das eben Gelächter?
Ich laufe weiter in unser Wohnzimmer, das Lachen wird lauter.
Im Türrahmen des Wohnzimmers verharre ich. Alle sitzen zusammen und lachen, nicht übereinander, nicht aus Schadenfreude, nein, sie lachen gemeinsam.
Mein Vater und meine Mutter bemerken zuerst ihren verwirrt im Rahmen stehenden Sohn.
„Worauf wartest du? Komm zu uns, du bist schließlich auch ein Teil der Familie!“
Es war schon lange dunkel auf den Straßen, und Rudolf hatte die Zeit total vergessen. Nun musste er sich beeilen; in einer halben Stunde sollte er zu Hause sein.
Der junge Mann ging schnellen Schrittes die Straße hinab, von der sich die Abkürzung abzweigte. Vor dem Eingang der dunklen Gasse blieb er stehen. Sein Herz klopfte schneller. Jetzt galt es, zielstrebig an den herumlungernden Jugendlichenbanden vorbeizukommem.
Schnell zog sich Rudolf die Mütze etwas tiefer ins Gesicht und vergrub sich in seinem Schal. Dann ging er los.
Vorbei an dem ersten Halbstarken, der ihm mit misstrauischen Blicken folgte. Einfach ignorieren.
Der Geruch von Zigarettenrauch und Alkohol schlug ihm entgegen, und er musste einen spontanen Würgereiz unterdrücken. Die Jugendlichen lehnten an den Wänden und beobachteten ihn.
Bu-Bumm!
Rudolf wusste, jeder hier könnte sein Herz klopfen hören. Plötzlich fuhr ihm kalter Winterwind durch die Haare. Unwillkürlich griff er nach seiner Mütze, doch sie war nicht mehr da."Schicker Hut!" sagte eine verrauchte Stimme. "Was dagegen, wenn ich ihn behalte, Maestro?" Rudolf ging einfach weiter. Nein, er wollte weitergehen, weitergehen, doch jemand trat ihm in die Kniekehle und er fiel längs auf den Asphalt.
Bu-Bumm-Bumm!
"Es ist unhöflich, nicht zu antworten!" sagte eine junge Frau mit blauem Irokesenschnitt und grinste ihn hämisch an. Rudolf stand auf und wollte wegrennen, aber zwei muskelbepackte Kerle schubsten ihn wieder zurück in den Kreis der Jugendlichen.
"Der Mantel ist auch ganz schnieke" meinte der Rocker mit Rudolfs Hut und schlug ihm unvermittelt ins Gesicht.
Bumm-Bumm-Bumm!
Jetzt schmeckte Rudolf Blut. Keine Schmerzen, nur Blut. Der nächste Schlag traf ihn in die Magengrube.
Bumm! Bumm! Bumm!
Diesmal war es ein heißer, glühender Schmerz, der durch seinen ganzen Körper wogte. Rudolf krümmte sich auf dem eiskalten Boden zusammen.
Bumm! Bumm! Bumm! Bumm!
Er bekam nun Tritte aus allen Richtungen ab. Einer der Jugendlichen zog ein Messer und Rudolf wurde schwarz vor Augen.
Alles, was er hörte, war sein Herz.
BUMM!
BUMM!
Bumm!
Bumm!
Bumm.
Bomm.
Bomm.
Bomm..
Bomm...
Der kühle erfrischende Sommerwind fuhr zärtlich über die mit Bäumen übersähte Hochebene. Wie ein Kind in den schützenden Armen seiner Mutter wogen sich die Blätter der Bäume im Strom, der über sie hinwegzog, so als seien sie Grashalme auf einer unendlichen Wiese. Das Firmament erstrahlte in einem lieblichen Blau, Wolkenschäfchen, die keinerlei graue Flecken in ihrem Fell zeigten, schritten darüber hinweg. Wie die Zeichnung eines Kindes mag das Szenario gewirkt haben, denn auch die Sonne, die der ausschlaggebende Künstler dieses Gemäldes war, fand ihren Platz am linken Rand des Himmels. Alles erschien so perfekt, als würde jedes Element dieser malerischen Kulisse einen bestimmten Zweck erfüllen. Doch war sie Realität oder vermochte sie damit alle Augen täuschen können?
Am Rand der Hochebene erhob sich eine nahezu gewaltige Steinfront, die aus dem scharf und würzig duftendem Gras emporragte und gar nicht zur Atmosphäre passen zu schien. Doch entdeckte man erst, wenn man näher hinsah, zwei schattenartige Gestalten, die auf dem höchsten Felsen saßen und ihre dünnen puppenartigen Beine gen Erdboden baumeln ließen.
"Spielst du es noch einmal für mich?" Sprach die Rechte der beiden, deren braune schulterlange Haare an ihrem bleichen Gesicht herunterhingen, als würden sie versuchen, das Mädchen mit den tiefblauen Seelenspiegeln zu verstecken. Sie drehte ihren schmalen, mit einem mintfarbenen Kleid bekleideten Oberkörper, der Älteren neben ihr zu und blickte sie erwartungsvoll an. Blitzartig umspielte ein Lächeln deren schmale Lippen, ehe sie ihre Stradivari auf ihre zerbrechlichen Schultern bettete, mit den dünnen und geschickten Fingern den Bogen griff und dem Instrument derart zarte Töne entlockte, dass die kleine Brünette vergebens versuchte ihre Tränen zurück zu halten. Als die Welt um die beiden herum dem leidenschaftlichen Crescendo des Stückes, das niemand beim Namen nennen konnte, wich, vereinte sich der Körper der Geigenspielerin mit der Musik. Sie stand auf, wirbelte herum zu ihrer Zuhörerin. Ihre schwarzen Haare fielen ihr dabei ins Gesicht und um ein unangenehmes Piecksen zu verhindern, welches sie zugleich in ihren Augen spüren würde, schloss sie ihre smaragdgrünen Kristallfenster und konzentrierte sich nur noch auf den harmonischen Bund, den ihr Körper soeben mit der Musik einging. Mehr und mehr gab sie sich dem Einmannorchester hin, in welches sie sich verwandelte. Sie tanzte zur Musik, doch wirkte es keinesfalls unbeholfen wie ein verunsichertes Wippen in der Disco. Viel eher schenkte ihr die Melodie Selbstvertrauen, so viel, dass sie sich von jeder Scheu löste und die dünnen, brüchigen und hohen Steine entlang des Felsen betrat. Auf ihnen fühlte sie sich wie auf einer Bühne, sie begann sich vorzustellen, nicht nur vor ihrer kleinen Schwestern, sondern vor hunderten Zuhörern zu spielen. Die letzten Takte nährten sich, sie warf sich erneut in die tosenden Wellen des majestätischen Ozeans, den sie mehr und mehr durch ihr Spielen gefüllt hatte und mit einem letzten, den Moment auskostenden, Streichen verstummte die klingende Kuppel um die beiden Mädchen.
Ein Seufzen entrang sich der Brust der Musikerin, als sie ihren Zauberstab, mit dem sie einem jeden, der ihr zuhörte, ungeahnte Universen eröffnete, von ihrer Schulter nahm und sich neben ihre begeisterte Schwester setze, die während dem Stück nicht von ihrem Platz gewichen war. Ob es daran gelegen haben mag, dass sie nicht laufen konnte oder war sie schlichtweg gefesselt worden?
"Danke...", schluchzte die Brünette, ehe sie sich in die Arme der Grünäugigen warf und ihre Wange mit zärtlichen Küssen übersähte, die ihrer Freude über das für sie gespielte Lied Ausdruck verlieh.
"Für dich würde ich alles tun", nuschelte die Umarmte durch das dichte Haar ihrer Schwester hindurch an ihr Ohr ,"deswegen bin ich auch hier, Ellie"
Die Schafheerde wich dem stolzen Rot, wie es nur ein Fuchs tragen würde, und ehe man sich versah, waren die Wolkentiere am Himmel verteilt und sie schienen, als würden sie sich auflösen. In die Breite wachsend und immer verwaschener wirkend durchzogen sie den vanillefarbenen Horizont mit einem Band, welches langsam in ein unauffälliges Orange überging. Der Wind ließ nach und die Hochebene schien zu ruhen, in den Schlag gesungen von der lieblichen Stimme der Geige.
"Du willst wirklich schon gehen...?", wisperte die Stimme von Ellie, die auf der Schulter ihrer großen Schwester saß und dabei den Stadivarikoffer festhielt, so gut sie es mit ihren dünnen und kindlichen Armen eben konnte.
"Kleines...gehen will ich nicht. Aber du weißt doch, dass ich muss. Das hier ist deine Welt und das dort unten ist meine..."
"Und du meinst sicher, er erlaubt nicht, dass du noch einmal kommst?"
"Wir können uns glücklich schätzen, dass er mich überhaupt erhört hat, Elisabeth."
"Ja...", murmelte ebendiese ehe sie ihren Kopf auf das schwarzhaarige Haupt ihrer Schwester stützte.
Stille herrschte zwischen den beiden und es war so, als hätten sie sich nichts zu sagen. Trotzdem schien es, als würden sie miteinander sprechen, als wüssten sie genau, was die andere sagen würde. Dieser Moment bedurfte keinerlei Worte, denn Ellie und ihre Schwester wussten, dass es nun bald Abschied nehmen heißen würde und so wollten sie noch einen kurzen Moment in inniger Verbundenheit genießen, in dem sie keinerlei Gedanken an das Kommende verschwenden.
Nach einer Weile des Laufens, welches für die beiden ein noch ungewisses Ende bedeuten würde, erreichten sie das, wonach sie suchten. Eine Brücke. Doch es war keine Holzbrücke, kein riesiges Gebilde wie die Golden Gate Bridge. Sie schien wie aus Glas und alle Farben des Regenbogens brachen sich in der prisamaartigen Beschaffenheit dieser Verbindung zwischen der Hochebene und etwas, was die meisten von uns "Relität" nennen.
Die kleine Ellie wurde von ihrer großen Schwester auf den Pfeiler der Brücke gesetzt, der festverwurzelt im Boden einen sicheren Übergang gewährte. Wie eine Königin trohnte das puppenähnliche Kind auf diesem und ihre Augen füllten sich mit einer klaren Flüssigkeit, welche ihr zugleich über die Wangen floss - Tränen.
"Kathi...."
"Ellie..."
Katharina umschloss den zierlichen Körper von Elisabeth und das engelsgleiche Gesicht dieser kuschelte sich geborgen an die Schulter der Älteren.
"Ich will nicht gehen, ich will bleiben, meine Kleine..."
"Aber du musst gehen, Kathi, sonst wirst du zu so jemandem wie ich es bin!" Die schluchzende Kinderstimme wich einer beschützerischen Klangfarbe, die sich Sorgen um ihr Wohl machte.
"Für dich tue ich alles...", weinte die Geigenspielerin, als sie dem Kind einen Kuss auf die Wange drückte, der eher stürmisch als liebevoll wirkte.
"Du sollst deine Musik doch nicht für mich aufgeben. Deinen Freund. Ich hatte so etwas nie und werde es auch nie haben können, aber du musst auf die Erde zurück und das retten, was du hast. Opfere dein Leben nicht für eine Tote, um selbst zu sterben, Katharina!"
Eine Tote....
Stechende Schmerzen durchzuckten Katharinas Herz, ein dumpes Gefühl der Betäubung folgte. Schon oft hatte dieser Muskel so reagiert, besonders damals, als ihre geliebte Puppe in einen Kindersarg gesteckt wurde und von vielen Schaufeln Erde begraben wurde. Oder als sie sich vorstellte, wie ihr zerbrechlicher und schutzbedürftiger Körper langsam dem Verwesungsprozess zum Opfer fallen würde.
Stark presste sie ihre Lider aufeinander und schloss ihre Lippen, um keinerlei Hinweise auf ihre schrecklichen Gedanken zu geben, denn Ellie, so wusste sie, hätte das ebenso traurig gestimmt wie sie. Ellie wollte mit einem Lächeln, welches strahlender als jedes andere auf der Welt war, in Erinnerungen gehalten werden und nicht als hilfloses Unfallopfer.
Wärme durchströmte Katharinas Körper, als sie eine weiche Hand auf ihrem Gesicht verspürte.
"Im Gebet können wir doch miteinander reden, und im Traum. Und in Gedanken bin ich auch immer bei dir."
"Aber ich will dich umarmen können, ich will für dich spielen können..."
"Ich werde dich immer spielen sehen, denn nur dann bist du meine Schwester, die ich liebe. So wie du jetzt bist machst du uns beide traurig, und du weißt, dass es auch ohne geht, wenn wir uns beide ganz doll anstrengen!"
So konnte auch nur jemand sprechen, der von einem Laster angefahren wurde und daraufhin eine Klippe hinunterstürzte und trotz dessen niemals sein Lachen verloren hatte.
Nach außenhin vermochte Katharina keinerlei Gefühle zu zeigen, zu verletzt war sie von der Tatsache, dass der letzte menschliche Tag mit ihrer Schwester nun sein Ende finden würde, doch viele Gedanken kreisten um sie. Einerseits wusste sie, dass es sowieso nichts bringen würde, sich gegen ihn zu wehren, andererseits glaubte sie für einen Augenblick, dass es vielleicht eine Möglichkeit geben würde, sie mit sich in das Reich der Lebenden zu nehmen. Ihr zerbrach es das Herz, ihre kleine Schwester an diesem einsamen Ort zurück zu lassen und doch wusste sie, dass Ellie gut klarkommen würde, immerhin war sie die selbstständigste Fünfjährige, die sie jemals kennenlernen würde, so viel war sicher.
Die Hochebene begann zu verschwimmen, Katharina konnte sie nicht mehr erkennen und auch ihre Schwester wurde immer unwirklicher, wie ein Hologramm wirkte der eben noch existierende Mensch.
"Ich liebe dich, Katharina. Mehr als jeden anderen Menschen und ich danke dir, dass du gekommen bist, um mir das Lied noch einmal gespielt hast. Bitte versprich mir, nie damit aufzuhören."
Ungewollt fielen der Geigenspielerin die Augen zu und das Letzte was sie vernahm, war das Lachen ihrer Schwester. Es klang glücklich. Einem Toten kann man also sehr wohl seinen letzten Wunsch erfüllen.
„Nein!“, schrie ich, als er hinter mir aus dem Sattel gerissen wurde. Ich riss meinen Kopf herum. Er prallte unsanft auf den Boden auf, die tobende Schlacht überspülte seine Schreie.
Das Pferd stoppte im vollen Galopp und ich sprang ab, ein zuckender Schmerz durchfuhr meine Beine, als ich auf dem hart getrampelten Boden aufkam. Nur kleine, verdörrte Grasbüschel trauten sich noch bis hier vor, wo die Sonne am Tag ihre grauenhaft heißen Strahlen über das Land schickte und jedes Leben auszulöschen vermochte, was nicht im Schutze von Häusern lebte. In der ferne funkelte die Burg meines Vaters in den letzten Sonnenstrahlen des Tages. Der Krieg zog durchs Land und hatte nun auch unser Land erfasst. Mein Vater war von seinen Lehnsherren gezwungen worden, zu den Fahnen zu rufen.
Ich hastete über das Schlachtfeld hin zu meinem Bruder, den ich zwischendurch hinter mich auf den Sattel gezogen hatte, weil sein Pferd durch gegnerische Pfeile seinen letzten Atemzug getan hatte. „Felix!“
Als ich bei ihm ankam, regte er sich nicht mehr. Sein muskulöser, in Rüstung steckender Körper lag neben einem gefallenen Pferd. Rabenschwarzes Haar umrandete sein schmutziges Gesicht. Dann sah ich auch den Grund für seine Reglosigkeit. Ein Pfeil ragte aus seiner Brust, hatte einen Weg durch das Kettenhemd gefunden, war in das Herz meines Bruders gedrungen. „O-oh n-nein“, stammelte ich, während ich neben ihm niederkniete. Ich starrte den Pfeil an. An der Stelle, wo dieser das Fleisch berührte, breitete sich auf dem weißen Untergewand ein roter Fleck aus, der sehr schnell größer wurde.
„Navin“, flüsterte mein älterer Bruder und griff nach meiner Hand. Er klammerte sich an mir fest, als wolle er damit das verhindern, was unweigerlich sehr bald eintreten würde, auch wenn ich es nicht glauben wollte. „Mach diese Schweine für mich fertig, die meinen, einen Krieg anfachen zu müssen.“
„D-Du kannst jetzt nicht sterben“, schrie ich ihn an und rüttelte ihn, während in mir ein dicker Kloß im Hals heranwuchs. „Das darfst du nicht!“ Das Salz der Tränen kitzelte in meinen Augen, drohte, den innerlichen Damm zu brechen, der das heiße Nass zurückhielt. „Hörst du, du musst hier bleiben, bei mir!“
Er legte eine Hand an meine linke Wange. „Navin“, sprach er noch einmal, nur noch leiser als davor. Tränen hinterließen Rillen der Sauberkeit auf seinem von Staub bedeckten Gesicht. „Ich spüre es, das Leben rinnt aus mir heraus. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit.“ Er atmete nur noch sehr flach.
Um uns herum tobte weiterhin die Schlacht, doch keiner schien sich für uns zu interessieren. Ich schluchzte auf. Der Damm brach, ich konnte nichts mehr zurückhalten. Meine Sicht verschleierte sich vollkommen durch die Tränen. Ich konnte fast nichts mehr erkennen. „Warum, w-warum du?“ Meine Stimme zitterte, ich fror am ganzen Körper.
„Jedes Leben wird einmal durch den Tod beendet, Bruder.“ Er klang sanft, ruhig und überaus weise. Ich schüttelte den Kopf, konnte das alles nicht begreifen. Warum er? Das erschien mir alles so surreal. Als ob das alles ein Traum wäre. Doch fror man so entsetzlich in einem Traum?
Der Wind toste auf dem Schlachtfeld. Überall wurden Schreie des Schmerzes laut. Der Griff um meine Hand wurde wieder fester. „Versprich mir, dass du das hier lebend überstehst.“ Mein Bruder klang entsetzlich hart, fordernd. „Versprich es mir“, wiederholte er.
Ich starrte ihn an, neue Tränen sammelten sich in meinen Augen, bahnten sich einen Weg über das schmutzige Gesicht. Er wischte mit schwacher Hand meine Tränen fort. „Ich verspreche es“, flüsterte ich, obwohl ich es kaum aussprechen konnte.
„Gut“, sagte er kaum hörbar. „Das ist Gut. Wisse, dass ich immer bei dir sein werde.“ Ich sah ihn durch einen Schleier der Verschwommenheit an. Seine Augen erwiderten zwar den Blick, doch waren sie starr. Irgendjemand ganz in meiner Nähe schrie, doch realisierte ich erst kurz darauf, dass ich es selbst war. Mein Kopf sank herab, berührte die Brust meines Bruders, während ich erneut aufschluchzte. Mein Körper erbebte vor Wellen der Trauer. Mich drohte eine Trauer zu verschlingen, die ich zuvor noch nie gekannt hatte. Unerbittlich drängt sie sich in mein Bewusstsein.
Ich wusste nicht mehr, was um mich herum geschah. Warum musste ausgerechnet er sterben. Warum?
Auf einmal verwandelte sich meine Trauer in Zorn und ich presste meine Handballen gegen die Schläfen. Wer konnte so etwas überhaupt tun? Wer konnte den Krieg ausrufen, wenn man doch wusste, dass tausende Menschen nie wieder nach Hause zurückkehren würden? Ich schrie auf und blickte gen Himmel. Dieser färbte sich wegen der untergehenden Sonne blutrot, in der Ferne türmten sich schwarze, unheilvolle Wolken auf. Blitze zuckten in dieser Region über das Himmelsgewölbe. Ich schaute wieder auf den Menschen herab, der mein Bruder gewesen war. Abermals bildete sich ein Kloß in meinem Hals
In der Ferne erklangen Hörner. Hörner des Sieges. Doch dieser Tag war alles andere als siegreich. Um mich herum wurde es still, sehr still. Dann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter ruhen. Mein Vater kniete neben mir, doch nahm ich das nicht mehr richtig war. Während ich geistlich abdriftete, konnte ich nur noch an Eines denken.
Rache. Rache für den Menschen, der mir wichtiger als alles andere gewesen war.
Morgen war es soweit. Es kamen neue Trainer und diese wählten sich ihr Starter-Pokemon.
Aus diesem Grund wuschen und bürsteten wir, Professor Platan und ich, Fynx, Froxy und Igamaro. Ich bin eine Assistentin vom Professor. Arbeiten tat ich schon ein paar Jahre für ihn und war in seinem Labor so etwas wie seine rechte Hand. Anfangs war unsere Beziehung wirklich nur arbeitstechnisch. Doch leider war dies von meiner Seite aus nicht mehr so. Seit etwa einem Jahr empfand ich etwas für den Professor der Kalos Region. Doch nach meinem Wissen ist dies leider unerwidert.
Aber zurück zu den drei Startern, denn die drei schienen unser Wellness-Programm echt zu genießen. Fynx ließ sich gerade vom Professor bürsten. Dabei kicherte es manchmal wenn Professor Platan es an bestimmten Stellen erwischte. Igamaro und Froxy genießen derweilen ein schönes warmes Bad. Aber sie waren sehr verspielt, daher wurde ich auch ziemlich nass. Wir alle hatten ziemlich viel Spaß. Gerade als ich Froxy ein schäumte schrie der Professor kurz auf. Fynx hatte ihn gebissen. Ich bestand direkt darauf mir dir Stelle anzusehen. Bei der Berührung seiner Hand schoss ein kurzer Blitz durch mich. Aber dem durfte ich keine Beachtung schenken. Die Bisswunde war zum Glück nur ein kleiner Kratzer. Fynx sah auch schuldbewusst aus und entschuldete sich so. Der liebe Professor winkte es ab, er meinte er habe Fynx versehentlich gekniffen. Igamaro und Froxy gesellten sich zu uns und wir machten für den Tag Schluss. Ich rief die drei zurück in ihre Pokebälle und erwartete leicht besorgt den nächsten Tag. Denn das Igamaro bereitete mir leichte Sorgen. Denn die letzten Male wurde es immer wieder nicht von den neuen Trainern gewählt. Hoffentlich war es für ihn morgen endlich soweit.
Der nächste Tag brach an. Es war erst mal Zeit für eine Stärkung. Wir Assistenten frühstückten zusammen mit dem Professor und den ganzen Pokemon die im Labor lebten, dies war unser morgendliches Ritual.
Aber essen konnten wir nicht lange, denn ein Trainer kam schon. Dieser ließ sich bei seiner Wahl ziemlich Zeit. Er wollte sich anscheinend sehr sicher sein. Der Trainer streichelte alle drei ausgiebig und schaute sich ihre Pokedexeinträge an. Nach längerer Überlegungszeit entschied er sich für Fynx. Einerseits freute ich mich für Fynx. Aber andererseits schaute Igamaro ziemlich traurig aus. Der Professor sah dies auch.
Als der Trainer dann losgezogen war sprach Professor Platan mit mir über Igamaro. Er machte sich auch ziemliche Sorgen. Darüber, dass es vielleicht nicht gewählt werden würde. Also in Zukunft auch nicht.
Nach einem etwas längerem Gespräch hatten wir uns für ein Spezial-Training für Igamaro entschieden. Professor Platan mit Froxy gegen mich mit Igamaro. Ich musste für Igamaro mein bestes geben. Ich durfte keine Schwäche zeigen durch meine Gefühle. Dies würde niemandem helfen.
Doch anscheinend brauchte ich mir darum keine Sorgen machen, denn während des Kampfes schlug sich Igamaro ziemlich gut. Er war ziemlich schnell und hatte anscheinend auch einen hohen Angriffswert. Froxy hatte manchmal ziemliche Probleme. Ich verstand nicht wieso Igamaro bisher noch nicht gewählt wurde.
Anschließend brachte ich Froxy und Igamaro zum Pokemon Center, bei dem ich das neue Fynx auch direkt abholte. Als die beiden wieder voller Kräfte waren sprach ich ein wenig mit Igamaro. Man sah ihm schon an das die ganze Sache Sorgen bereitete. Er hatte so einen traurigen Blick. Aber ich meinte zu ihm, wenn er wieder nicht gewählt werden würde, würde ich ihn als meinen nehmen. Er sah dadurch schon sehr glücklich aus. Denn wir beide verstanden uns ziemlich gut. Ich erzählte ihm auch von meinen Gefühlen für den Professor. Er erfuhr wie ich bemerkt hatte, dass ich Gefühle für Professor Platan habe. Als er ins Labor kam fütterte ich damals gerade das Knackrak des Professors. Er wollte mir etwas von seinem Privatleben erzählen. Dies tat er normalerweise nie. Er erwähnte, dass er sich jemandem anvertrauen muss, denn ansonsten könnte er sich nicht richtig auf seine Arbeit konzentrieren. Sein Anliegen war unerwiderte Liebe. Der Professor fragte wie er handeln solle. Ich versuchte damals ihm so gut es geht zu helfen. Also mit Tipps im Ansprechen und so was. Das übliche eben. Aber als ich dann danach darüber nachgedacht habe, wurde mir bewusst, dass ich mich in ihn verliebt habe. Denn ich spürte aufkommende Eifersucht in mir wachsen. Auch erzählte ich Igamaro, dass meiner Meinung nach daraus wohl nie was werden würde. Leider verstand ich nicht was es mir antwortete. Aber sein Gesichtsausdruck war ziemlich zuversichtlich. So als wolle er mir mitteilen, dass das schon alles ein gutes Ende nehmen wird. Zumindest hatte einer von uns noch Zuversicht.
Dann war es soweit. Eine Trainerin kam zu uns und wollte ihren Starter wählen. Da sie sich schon vorher ziemliche Gedanken gemacht haben muss, entschied sie sich sehr schnell für Froxy. Sie lächelte uns glücklich an und war sehr stolz als sie ihren Pokedex bekam. So dass sie auf ein großes Abenteuer loszog.
Igamaro sah mich trotzdem selbstbewusst und sehr glücklich an. Professor Platan war darüber leicht verwundert. Doch bevor er etwas sagen konnte, meinte ich zu ihm, dass ich Igamaro als Partner haben möchte. Dieses sprang mir dann zur Unterstützung sofort auf die Schulter. Der Professor schien kurz zu überlegen. Wie ich diesen Gesichtsausdruck liebte. Er meinte dann zu mir, dass Igamaro ja eigentlich für Neulinge ohne Pokemonerfahrung gedacht ist. Aber da Igamaro sich mir auch anschließen wollte , könnte er da sowieso nichts gegen sagen. Ich umarmte ihn dann überglücklich. Als mir selber bewusst wurde was ich dort machte, wurde ich direkt ziemlich rot. Im Hintergrund hörte ich Igamaro kichern. Es sollte mich nicht auslachen. Beim auflösen unserer Umarmung sah ich aber den richten Grund für sein Lachen. Professor Platan war auch leicht rot geworden. Dadurch entstand eine leicht peinliche Stille.
Meinem Igamaro wurde bewusst, dass wir beide nicht den Mut haben würden die letzten Zentimeter zu überbrücken. Es setzte daher Rankenhieb ein und schob uns dadurch noch näher zusammen. Der Abstand wurde immer geringer und wie fingen beide an zu lächeln. Empfand er doch etwas für mich? Langsam schloss ich meine Augen. Kurze Zeit später spürte ich leichten Druck von einem paar Lippen. Es waren seine. Ich hatte das Gefühl als würde die Zeit stehen bleiben. Das was ich mir so lange gewünscht hatte, war nun endlich Wirklichkeit.
Langsam lösten sich unsere Lippen. Ich war überglücklich. Professor Platan sah mich auch mit einem großen Lächeln an. Igamaro setzte sich mit einem stolzen Grinsen bei mir auf die Schulter und ich meinte zu ihm danke. Es wurde dann von beiden zum Dank gründlich geknuddelt.
Meine Augen brennen. Sie sind garantiert ganz rot.
Meine gequälte Seele, die in den letzten Wochen hatte so viel aushalten müssen, leidet noch immer.
Es tut so unglaublich weh. Mein ganzer Körper - er brennt förmlich unter den Qualen. Es fühlt sich beinahe so an, als ob Stränge aus Finsternis tiefe Schnitte in meinen Körper ritzen.
Und dieses Gefühl der Leere. Es fehlt etwas in meinem Leben, es fehlt ein Stück meines Herzens. Dieses Gefühl der Leere, es ist so unerträglich.
Ich bin mir nicht sicher, wie lange ich diese Schmerzen noch aushalte. Nein, wie lange ich sie noch aushalten kann. Wäre es vielleicht besser, die Schmerzen nicht mehr ertragen zu müssen? Wäre es besser, zu ihr zu gehen?
Sie, die mein Leben verändern sollte... Sie, mit der ich so glücklich war... Ariana.
Ariana. Ich vermisse dich so unerträglich.
Ich wünsche, ich könnte die Zeit zurückdrehen, es rückgängig machen. Diesen einen, verhängnisvollen Tag, an dem du von mir gegangen bist. An dem Tag, als meine Seele zerrissen wurde, als ein Stück meines Herzens brach und es nun zerfällt.
„Warum nur?“ könnte ich mich den ganzen Tag lang fragen. Warum? Lag es an mir? Was habe ich falsch gemacht?
Aber wir waren doch so glücklich. Wenn ich mit dir zusammen war, ja, schon wenn ich dich sah, schien die Zeit still zu stehen. Es gab nur noch dich.
Du hast mein tristes, dunkles Leben erhellt, wie die aufgehende, brennende Sonne den Tag.
Deine wunderbaren, eisblauen Augen, in denen man sich verlieren konnte, dein Lachen, was mich jeden Tag selbst zum Lachen brachte, und dein unvergesslicher und unvergleichlicher Duft, der dich immer umgab. Du warst so unglaublich schön und so wunderbar.
Du warst für mich wie ein Engel auf Erden... Ach was, du musst einer gewesen sein. Ein Licht am Ende des Tunnels.
Ich musste so viele Hürden in meinem Leben überwinden, ich war schon kurz davor, von dieser Welt zu gehen... Doch dann kamst du. Wahrlich, du warst ein Segen, Balsam für meine schon geschundene Seele.
Doch nun... nun ist mein Leben noch verzweifelter als es vorher war.
Mein kleines Stück des Himmels, welches du warst, ist pechschwarz geworden.
Wo bist du nur, Ariana? Ich vermisse dich so verdammt unerträglich.
Ich kann es immer noch nicht fassen. Und, schon wieder frage ich mich, warum?
Warum musste dieses Schicksal ausgerechnet uns beide treffen?
Jede Nacht denke ich an dich.
Und jede Nacht muss ich mich in den Schlaf weinen, aus verbitterter Trauer an dich.
Warum hast du nicht auf dein Herz gehört? Warum hast du uns beiden das angetan?
Und warum musste unsere Liebe durch deine Tat zerbrechen? Damit war auch mein Herz zerrissen.
Oh nein. Ich weine schon wieder.
Zum wievielten Mal an diesem Tag weiß ich nicht.
Bittere Verzweiflung umhüllt mich.
Ich merke, wie meine salzigen Tränen wie ein Sturzbach meine Wangen herunterrinnen.
Und ich frage mich abermals: Wie lange werde, nein, wie lange kann ich diesen Zustand noch aushalten?
Ich bin am Abgrund. Zutiefst verzweifelt.
Es gäbe nichts, absolut nichts, was mir mein zerbrochenes Herz wieder heilen könnte.
Wie ein Teufelskreis, ich bin gefangen, und komme nicht wieder heraus.
Mein Innerstes trägt gerade einen erbitterten Kampf aus.
Und... ich glaube, die Seite der Finsternis, der rabenschwarze Teil meiner zerschlagenen Seele hat gewonnen.
Ich kann einfach nicht länger ohne dich leben, Ariana. Es kann sein, dass dieser Entschluss absolute Blindheit ist. Es kann auch sein, dass es alles schlimmer macht. Aber ich schätze, für mich ist es eine Erlösung.
Ich werde von einer Brücke springen.
Ich stehe gerade vor dem Geländer.
Ich fühle den kalten Stahl der soliden Stangen an meiner Hand und merke, wie mir leise, heiße Tränen von der Wange rollen.
Es ist Nacht, ich sehe kaum etwas. Keine Menschen weit und breit hier. Nur das Meer aus Sternen beleuchtet mich von oben, und der kalte Mond.
Ja, der Mond... Er ist eine Spiegelung unserer selbst. So kalt, wie die Menschen sind, und so leer wie unsere Seelen, wenn diese in tiefster Schwärze ruhen. Genau wie meine Seele.
Ich steige auf das Brückengeländer und breite meine Arme aus.
Ich höre mein Herz klopfen, wie, als würde es gleich aus meiner Brust springen.
Nun nehme ich also den gleichen Weg wie meine Geliebte.
Ich spanne meine Beine an und springe. Meine Augen sind geschlossen, meine Arme immer noch ausgebreitet.
Ich spüre, wie ich auf dem Wasser aufpralle.
Mein Körper scheint vor Schmerzen zu zerbersten, doch ich beachte das nicht.
Der letzte Gedanke ist, dass ich zu ihr komme.
Wieder vereint, für immer.