In den letzten Tagen haben wir hier häufiger Mal über den Arbeitsmarkt, den vermeintlichen Fachkräftemangel und gute Arbeitsbedingungen gesprochen. Da es uns aktuell an einem guten Thema für genau diese Diskussionen fehlt, lasst uns doch einmal über den Arbeitsmarkt sprechen.
Seit die Pandemie angefangen hat, hört man immer wieder davon, dass Leute "keinen Bock hätten" zu arbeiten. Es wird von "The Big Quit" gesprochen und von der Anti-Work Bewegung. In den USA hat die ganze Sache dazu geführt, dass Kinderarbeit de facto wieder legalisiert wurde und der Arbeitsschutz für Kinder deutlich verringert wurde. Aber die Anti-Work Bewegung hat auch lange schon Deutschland erreicht. Gerne wird sie geframt als "Generation Z scheitert am Arbeitsmarkt, weil sie viel zu anspruchsvoll sind!", doch eigentlich ist das natürlich nicht ganz, was passiert.
Was sich eigentlich hinter der Anti-Work Bewegung verbirgt, ist der Unwille von Menschen, sich für den Profit anderer ausnehmen zu lassen. Und die Pandemie hat dies eben stärker deutlich gemacht, als viele Firmen, die ihre Operationen nicht länger normal ausführen konnten, ihren Mitarbeitern kündigten, statt sie weiter zu bezahlen, oder alternativ sie unter lebensgefährlichen Bedingungen arbeiten ließen - ohne Gefahrenzulage. Auch die Unterbesetzung und daher Überarbeitung in den so genannten "essenziellen Jobs" wurde durch die Pandemie auf einmal sehr deutlich. Was dazu führte, dass viele Menschen, die in diesen Bereichen arbeiteten, nicht länger bereit waren, dies zu den bisherigen Bedingungen zu machen, während die Arbeitgeber nicht bereit waren, diese Bedingungen zu verbessern.
Anders gesagt: Arbeitnehmende haben sich entschlossen, den Arbeitsmarkt als freie Marktwirtschaft zu behandeln.
Tatsächlich ist es so, dass viele Studien bewiesen haben, dass wir, wenn wir weniger arbeiten müssen, produktiver sind. Länder, die großflächig 30 Stunden- oder 4 Tage Wochen probiert haben, haben festgestellt, dass die Produktivität der Arbeitenden dadurch nicht weniger, in einigen Fällen sogar mehr wurde. Dies ist auch nicht verwunderlich, da wir ebenfalls wissen, dass die meisten Leute, die Büroarbeit verrichten, an einem 8 Stunden Arbeitstag selten mehr als zwei Stunden konzentriert arbeiten. Denn das menschliche Gehirn ist nicht darauf ausgelegt, acht Stunden in einem Büro einen Bildschirm anzustarren.
Der Kapitalismus als System propagiert den Mythos einer freien Marktwirtschaft. Das heißt, dass der Preis von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Auf den Arbeitsmarkt bezogen, sollte das heißen, dass Jobs, für die es wenige Bewerbende gibt, entsprechend höher entlohnt und mit vielleicht auch anderen Boni ausgestattet werden sollten (bspw. mehr Urlaub oder ein Arbeitgeber, der weitere Versicherungen für den Arbeitnehmenden übernimmt). Wir haben einen Mangel an Pflegepersonal? Nun, vielleicht sollte dann das Pflegepersonal statt etwa 2500€ im Monat 5000€ im Monat erhalten. Aber genau das passiert nicht, weil die Arbeitgeber lieber Stellen unbesetzt lassen, als besser zu bezahlen.
Und genau das ist der Auslöser für die Anti-Work Bewegung.
Junge Menschen wollen sich nicht mehr kaputt arbeiten lassen für einen Hungerlohn. Es ist heute leider so, dass viele Familien nur überleben können, wenn beide Partner vollzeit arbeiten gehen. In manchen Familien muss sogar ein Partner zwei Vollzeitjobs arbeiten, damit sie über die Runden kommen können - und das sollte nicht das Ziel sein.
Gleichzeitig ist es auch so, dass viele der besser bezahlten Jobs tatsächlich Gesellschaftlich betrachtet weniger Wert einbringen. Dies hat David Graeber in seinem Buch "Bullshit Jobs" festgestellt.
In diesem Buch postuliert er, dass es zwei Arten von Jobs gibt: Shit Jobs und Bullshit Jobs. Shit Jobs sind Berufe, die eigentlich gebraucht werden - häufig jene Jobs, die als essenziell bezeichnet werden - die aber häufig nicht gut bezahlt werden und gesellschaftlich auch wenig Anerkennung bekommen. Beispiele, die er bringt, sind Reinigungskräfte, Müllkräfte oder auch Pflegekräfte. Gleichzeitig gibt es aber auch diverse Berufe, die wenig oder nichts produzieren und ohne die die Gesellschaft eigentlich wunderbar funktionieren könnte. Diese teilt er in fünf Kategorien auf:
- Flunkies, die nur existieren, damit ihre Vorgesetzten sich gut und wichtig fühlen können. Beispiele dafür sind Rezeptionisten, Türöffner, Store Greeters und dergleichen.
- Goons, deren Job es ist anderen zu schaden oder sie hinters Licht zu führen. Zum Beispiel: Lobbyisten, Firmenanwälte, Telemarketing Menschen, PR-Spezialisten.
- Duct Tapers: Leute, deren Aufgabe ist, vorläufige Lösungen für Dinge zu finden, die eigentlich dauerhaft gelöst werden sollten. Also Programmierer, die nur bugficing betreiben oder Leute bei Airlines, die einzig dafür da sind, Leute zu beruhigen, wenn das Gepäck am anderen Ende der Welt gelandet sind.
- Box Tickers, also Leute, die nur den Eindruck erwecken etwas zu tun, wenn eigentlich nichts getan wird, wie Survey Administrators oder Corporate Compliance Officers.
- Taskmasters, die nur dafür da sind, Beschäftigung für andere zu schaffen, obwohl die Aufgaben nicht gebraucht werden: Mittelmanager und Professionelle Leitungen für irgendetwas.
Graeber postuliert weiterhin, dass viele der Menschen in diesen Jobs, die er als Bullshit Jobs bezeichnet, mit diesen eigentlich sehr unglücklich sind. Weil diese Jobs häufig eben nicht erfüllend sind. Genau weil die Arbeitenden hier nicht das Gefühl haben, am Ende des Tages etwas wertvolles getan zu haben. Etwas, worüber auch das Geld, was einige von ihnen bekommen, nicht hinwegtrösten kann.
Was an dieser Stelle bleibt, ist zu erkennen, dass der Arbeitsmarkt nicht so funktioniert, wie er eigentlich funktionieren sollte. Und dies ist auch eigentlich bekannt. Nicht nur, dass Arbeitsmarktforscher es immer wieder anmerken, das System ist auch darauf ausgerichtet, die Menschen dennoch zur Arbeit zu zwingen. Dies sieht man eben darin, wie man versucht potentielle Arbeitende dazu zu zwingen, unterbezahlte Jobs anzunehmen. Zum Beispiel eben durch Sanktionen bei Arbeitslosengeld Empfängern - oder in anderen Ländern eben dadurch, dass Arbeitslose oder zumindest Langzeitarbeitslose überhaupt keine staatliche Unterstützung bekommen. Dies sorgt dafür, dass sie eben erpresst werden: Entweder du gehst arbeiten oder du musst hungern. Und genau dies ist der Grund, warum viele Kritiker das aktuelle System als Lohnsklaverei bezeichnen.
Frage an dieser Stelle ist: Was kann man tun, um das System besser zu machen? Wir kann man das System retten? Und was muss passieren, damit Menschen in Berufen, wie der Pflege, angemessene Arbeitsbedingungen bekommen?