»Was wird sein, wenn Weiß zu Schwarz wird?
Ich liebte dieses Geräusch, wenn ich mit meinen Füßen sanft in den vom Firmament frisch gefallenen Schnee trat, die Schreie der einzelnen Schneekristalle, die ich mit meinem Gewicht zusammenpresste. Es war irgendwie makaber, die Schreie des Schnees als wohltuend zu empfinden, doch in meinen Ohren klang es so. Und allein nur dieses Geräusch war mein Begleiter in diesem verschneiten Morgengrauen. Der Wind flüsterte mir nicht ein einziges Wort, der Bäume tausend Äste schwiegen, kein Vogel sang. Lediglich das Leiden des gefallenen Schnees. Ich floh bereits spät in der Nacht, um am Morgen an diesem wunderschönen Ort zu sein. Prachtvolle Schneekristalle wuchsen entlang des Strauches Arme, faszinierende Schneestrukturen, die durch die Macht des Windes geboren wurden, bildeten sich an den Zweigen einiger Büsche und auch die Bäume waren in einem unschuldig weißen Schneekleid gehüllt. Jedes Grün verwandelte sich im Laufe des Winters in einen wunderschönen Kristall, welcher sich im Schein der kalten Sonne in angenehmen Farben spiegelte, häufig dominierte ein zartes Rosa. Oftmals blickte ich zurück und sah anhand meiner Fußstapfen im Schnee, wie weit ich bereits gekommen war. Dies war für mich eine Art Bestätigung, denn diese Fußstapfen waren der Beweis dafür, dass ich vorankam, dass ich meinem Ziel immer näher kam, einen Schritt nach vorne machte und etwas hinter mir lies … dass meine Distanz zur grausamen Vergangenheit immer größer wurde. Und beruhigend war dieser Anblick ebenfalls, denn ich wusste, die Schreie der Kristalle waren verstummt, das Leiden ihrer hatte ein Ende gefunden, so wie meines enden würde an diesem Morgen.
___Es gab eine Person in meinem Leben, die einst zu mir sagte: „Liebste, auch wenn das Schwarz dir oftmals so mächtig erscheint, es kann nie vollkommen sein. Das Weiß ist stärker als das Schwarz, niemals es kann vom Schwarz vertilgt werden. Dir wird immer ein Funken Hoffnung bleiben, auch wenn er noch so winzig ist.“ Durch diese Lehre wollte sie mir Mut machen und ich stimmte ihr zunächst zuversichtlich zu. Ich war auch nachts in diesem verschneiten Paradies, und der Himmel kann in tiefster Schwärze getränkt sein … das Weiß des Schnees ist auch in Dunkelheit vollkommen, was ich als Bestätigung der Lehre ansah. Doch ich fragte mich immer: „Was wird sein, wenn Weiß zu Schwarz wird?“ Ich fühlte so oft, so oft nur die Schwärze in mir, so oft Leere, so oft fehlte mir der kleinste Schimmer Hoffnung. In mir gab es so etwas nicht mehr, weshalb ich begann der Person zu misstrauen und völlig verzweifelte. Heute wollte ich ihr zeigen, dass Weiß durchaus zu Schwarz werden kann.
___Und so hatte ich mich also im heutigen Morgengrauen in die vom Schnee regierte Landschaft begeben, wo allein nur mein Atem und die Schreie der Kristalle miteinander kommunizierten. Dieses Weiß, so nahm ich mir vor, wollte ich in ein tiefes Schwarz färben. Schwärzer, als das schwärzte Schwarz. Ich konnte es schaffen, ich wollte es. Mein Wille war noch nie derartig stark … alles, was ich dafür benötigte, hatte ich dabei, nämlich lediglich meine Person selbst. Ich sah mich noch einmal um, um zu sehen, wie weit ich gekommen war. Meine letzten Fußstapfen konnte ich schon gar nicht mehr erkennen, da sie von Neuschnee bedeckt worden sind. Enorme, wunderschöne Kristallkugeln wurden vom weißen Firmament auf das Schneemeer geweint. Oftmals versuchte ich welche mit der Zunge aufzufangen, da ich die Kristalle gerne schmeckte und ich die Kälte in meinem Mund als wohltuend empfand. Ich stand kurz vor der Trauerweide, dessen Hängebüsche eingefroren und somit riesige Eiszapfen erzeugten, was dem Baum noch mehr Melancholie verlieh – mein Ziel. Mit äußerster Vorsicht öffnete ich das Tor aus Eis und betrat das Herz der Trauerweide. Ein wunderschönes Gefühl, vollkommen in Eis gehüllt zu sein. Und ich war fest entschlossen, hier, wo Weiß und Trauer Eins wurden, das Schwarz zu gebären.
___Ich legte meine in Schwarz getränkte Jacke ab, zog meinen warmen Pullover, meine Stiefel und meine zarte Strumpfhose aus. Mir war nicht kalt. Ich bückte mich und schaufelte einen großen Berg Schnee in meine Hände und verteilte ihn auf meinem ganzen Körper. Es war, als würden sich die Kristalle in meine Haut fressen, doch mir war nicht kalt. Mit nackten Füßen schritt ich zum Kleid der Trauerweide, gezielt auf einen Ast, der von einem besonders spitzen Eiszapfen verschlungen war. Voller Entschlossenheit brach ich den massiven Eiszapfen ab, welches ein Geräusch auslöste, welches den Schmerz des Eises, gleichzeitig aber auch das Aufatmen des unter dem Eis lebenden Astes wiederspiegelte. Und so stand ich da. Nackt, bewaffnet mit dem schärfsten Eis unter einem mit Melancholie gefülltem Schneekleid … im weißen Paradies, allein.
___Ich schloss meine Augen, atmete ein letztes Mal die Schneeluft ein, ganz tief, und stieß in unfassbarer Schnelligkeit den Eiszapfen direkt in die Tiefe meines Herzens. Ein Schrei erklang, ein Schrei aus Schmerz und Erlösung, ich glaubte, es war der Meinige. Meine Augen öffneten sich, die Hand wurde schwach und rutschte den Eiszapfen hinunter, entlang meines in Unschuld getränkten Körpers. Die Schwäche befahl mir zu Boden zu fallen, der jetzt gar nicht mehr weiß war … er war in dunkelroter Blutfarbe gefärbt. Und dieses Blut, so schien es mir, wurde immer dunkler, bis es die vollkommene Schwärze erreichte. Schwärzer, als das schwärzte Schwarz. Es war schön anzusehen, wie das Blut lautlos in des Kristalls Rinnen seinen Weg suchte und ihm Leben spendete. Ich wollte es weiter beobachten, doch meine Augen begannen immer mehr sich zu schließen. Und so geschah es … ich sah nur noch eine schwarze Wand. Mein Traum wurde erfüllt, das Schwarz vertilgte das weiße Paradies vollkommen.
___Doch, was nahmen meine Augen in dieser dunklen Welt wahr? Ein zu fliegen scheinendes Wesen, welches zu meiner Enttäuschung in dem reinsten Weiß gefärbt war. Ein Weiß, heller als nie zuvor gesehen. Es flog näher zu mir und ich erkannte, dass es ein Rabe war, ein Rabe mit weißem Federkleid. Eine schneeweiße Feder landete auf meinem Herzen, als er an mir vorbeiflog. Und so lag ich da … im geschwärzten Raum, doch auf meinem Herzen eine weiße Feder. Hier wurde mir bewusst, dass mir doch immer ein kleiner Funken Hoffnung bleibt, so klein er auch sein mag ... wie die Person einst sagte.
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Liebe Elesa, ich bin nicht der beste Freund des Weihnachtsfestes, weshalb meine Geschichte „Weihnachten“ auch nicht thematisiert. Das einzige, was damit in Verbindung zu setzen wäre, wäre der in der Geschichte auftauchende Schnee … wobei hier zur Weihnachtszeit leider keiner liegt. Ich hoffe jedoch, dass dir die Geschichte trotzdem gefällt. Das Schreiben von Gedichten liebe ich um einiges mehr, jedoch konnte ich in der kurzen Zeit kein schönes Gedicht für dich verfassen, weshalb ich mich an eine Geschichte wagte. Wie dem auch sei, ich wünsche dir ein besinnliches Weihnachtsfest und ein wunderschön neues Jahr 2012.
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... Ores†es